Connect with us

Interview

Ursula von der Leyen: “LGBTIQ-Minderheiten mehr Gehör verschaffen”

Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission
Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission

dd. Ursula von der Leyen ist seit 2019 EU-Kommissionspräsidentin und Mitglied der CDU. In ihrer ersten Rede zur Lage der Europäischen Union sprach sie sich deutlich gegen sogenannte LGBT-freie Zonen in Polen aus. Jeder und jede sollte ohne Angst lieben können, wen sie oder er will. Im FRESH-Interview berichtet sie über erzielte Erfolge und weitere Pläne zugunsten von LGBT.

Sehr geehrte Frau von der Leyen, Sie streben erneut das Amt der EU-Kommissionspräsidentin an. Warum ist Ihnen die Europawahl so wichtig? Die Wahlbeteiligung nimmt ab, Europawahlen scheinen für manche nicht sonderlich wichtig und interessant. Sie sehen das wahrscheinlich anders. Warum?

Das sehe ich tatsächlich anders, da haben Sie völlig Recht. Ich kann nachvollziehen, dass die Krisen, die wir aktuell auf der Welt erleben, Verunsicherung erzeugen. Die Welt hat sich grundlegend verändert, seit ich 2019 Präsidentin der Europäischen Kommission geworden bin. Aber ich ziehe daraus diesen Schluss: Wir brauchen ein starkes Europa, jetzt mehr denn je. Ich bin Mutter und Großmutter – das verändert die Perspektive. Und Europa war von klein auf ein Teil meines Lebens, seit ich hier in Brüssel geboren und aufgewachsen bin. In den vergangenen fünf Jahren ist nicht nur meine Leidenschaft für Europa gewachsen, sondern auch meine Erfahrung, wie viel die Europäische Union für ihre Menschen leisten kann. Wir haben unseren Kontinent mit Solidarität und medizinischen Spitzenleistungen geeint durch die schwere Pandemie-Zeit geführt. Wir haben die größte Energiekrise seit 40 Jahren überwunden und parallel unsere Energie-Unabhängigkeit wiedergewonnen. Wir bieten gemeinsam der russischen Aggression und Putins Verachtung für alle demokratischen Werte die Stirn.
Unser Europa ist eine der wohlhabendsten und sozial fortschrittlichsten Regionen der Welt. Ob Frieden, Freiheit und Demokratie, ob Klimawandel oder Digitalisierung – egal wie groß die Herausforderungen sind: Wir können sie doch nur gemeinsam lösen. Als Gemeinschaft von 450 Millionen Menschen haben wir die besseren Antworten zu bieten. Dieses Europa müssen wir für die künftigen Generationen erhalten. Wenn bald in 27 Mitgliedstaaten die Menschen zur Wahlurne gehen, ist genau das der Moment, in dem wir das demokratische Fundament unserer Union erneuern und kräftigen können – für ein starkes Europa. Deshalb werbe ich so intensiv für eine hohe Wahlbeteiligung.

Die Gleichstellung von LGBT in der EU kommt nur schwerfällig voran. Wie kann man das verbessern?

Das Motto unserer Europäischen Union ist unmissverständlich, „In Vielfalt geeint“. Die Gleichheit und die Achtung der Würde und der Menschenrechte sind Grundwerte unserer Europäischen Union. Sie sind in Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union und in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert und liegen damit all unserem Handeln zugrunde. Die Europäische Kommission, das Parlament und der Rat sind gemeinsam mit unseren 27 Mitgliedstaaten dafür verantwortlich, diese Grundrechte zu schützen und die Gleichbehandlung und Gleichstellung für alle zu gewährleisten.
Die Europäische Kommission setzt alle ihr zur Verfügung stehenden Instrumente ein, um diese Werte zu verteidigen. Deshalb haben wir in den vergangenen Jahren zum Beispiel das Instrument des Vertragsverletzungsverfahrens genutzt, wenn in einem unserer Mitgliedstaaten die Gleichberechtigung und der Schutz der Grundrechte eingeschränkt zu werden drohten. Meine Kommission hat ja bereits 2021 vorgeschlagen, Hassverbrechen und Hetze in die Liste der EU-Straftaten aufzunehmen; das inkludiert auch Hass und Hetze aufgrund der sexuellen Orientierung.
Und davor, im November 2020, haben wir eine Strategie für die Gleichstellung von LGBTIQ-Personen verabschiedet. Damit haben wir zum ersten Mal eine umfassende Strategie. Unser Hauptziel ist, dass das Ziel der Gleichstellung durchgängig berücksichtigt wird – in der Politikgestaltung, in der Gesetzgebung, in unseren Finanzierungsprogrammen. Wir möchten LGBTIQ-Minderheiten mehr Gehör verschaffen und wir wollen insbesondere die Position der am meisten gefährdeten Gruppen stärken. Wir beweisen mit dieser Strategie, dass es uns ernst ist mit einer Union der Gleichstellung.

Setzen Sie sich dafür ein, dass in der EU die Rechte für sexuelle und geschlechtliche Minderheiten, der Grundsatz der Nicht-Diskriminierung und vor allem das Demonstrationsrecht durchgesetzt werden können? Zum Beispiel werden CSDs immer noch in Ländern wie in Polen oder Serbien verboten oder massiv behindert.

Ich glaube fest an eine Europäische Union, in der man frei ist, zu lieben, wen man will. Eine Union, in der alle Menschen sie selbst sein können, ohne Diskriminierung, Ausgrenzung oder Gewalt befürchten zu müssen. Ich werde deshalb weiterhin alle Befugnisse der Kommission nutzen, um sicherzustellen, dass die Rechte aller EU-Bürgerinnen und -Bürger garantiert werden – egal wer sie sind und wo sie leben.
Untersuchungen haben gezeigt, dass selbst wenn eine größere gesellschaftliche Akzeptanz und Unterstützung für Gleichstellung vorhanden ist, dies nicht immer zu deutlichen Verbesserungen im Leben von LGBTIQ-Personen geführt hat. Auch da müssen wir ansetzen. Wir haben vieles verbessert, aber wir müssen in einigen Bereichen weiter auf Fortschritte drängen. Friedliche Demonstrationen sind ein Grundrecht in jeder Demokratie. In der Europäischen Union ist es Aufgabe der Mitgliedstaaten, im Rahmen ihrer Kompetenz für Sicherheit zu sorgen und im Einzelfall Entscheidungen zu treffen.

Schon seit Jahren gibt es die Diskussion, Entwicklungshilfe an die Einhaltung der Menschenrechte zu koppeln. Halten Sie dies für sinnvoll und umsetzbar?

Die Europäische Union ist der größte Geber von Entwicklungshilfe weltweit. Und wir fördern durch unsere humanitäre und internationale Hilfe bereits seit langem Menschenrechte wie die Achtung der Menschenwürde, Gleichheit und Solidarität ebenso wie Antidiskriminierung. Ich denke da einerseits an die Menschenrechtsklauseln, die seit Mitte der 1990er Jahre in Entwicklungshilfevereinbarungen – und übrigens auch in diversen Freihandelsabkommen – der Europäischen Union festgehalten sind. Mithilfe dieser Klauseln sind im Zusammenhang mit Entwicklungshilfe mehrfach Hilfszahlungen ausgesetzt worden, wenn Verstöße gegen die Menschenrechte vorlagen. Bei unserem Programm „Global Europe“, über das ein großer Teil der europäischen Mittel für die Außenbeziehungen fließt, stehen die Unterstützung und Förderung der Menschenrechte ebenso wie die Unterstützung von Organisationen der Zivilgesellschaft auf der ganzen Welt ebenfalls im Mittelpunkt. Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte werden immer das Fundament unserer Union sein. Dafür stehen wir in der Welt. Gleichbehandlung ist ein Grundrecht, das gilt hier in Europa und dafür setzen wir uns weltweit ein.

Stichwort queere Flüchtlinge. Sie kommen wieder verstärkt aus den Kriegsgebieten. Es gibt persönliche Übergriffe in Flüchtlingsunterkünften, viele haben schwere Traumatisierungen zu überwinden. Wie kann man erreichen, dass queere Menschen in der EU konsequent Asyl erhalten?

In der Europäischen Union gibt es klare, auf der Genfer Konvention basierende Regeln, die die Gründe für internationalen Schutz festlegen. Wenn queere Menschen im Rahmen ihres Antrags auf Asyl angeben, dass sie in ihrem Heimatland aufgrund ihrer geschlechtlichen oder sexuellen Identität von Verfolgung bedroht sind, wird dies von den zuständigen nationalen Behörden auf individueller Basis geprüft. Besonderes Augenmerk muss dabei auf bestimmte Gefährdungen gelegt werden, zum Beispiel wenn jemand einer LGBTQI-Minderheit angehört. Und natürlich erhalten die Menschen, die in der Europäischen Union für internationalen Schutz qualifiziert sind, dann alle Unterstützung, die das EU-Recht vorsieht. Die Rechtslage ist hier sehr klar. Europa wird niemals zulassen, dass Teile unserer Gesellschaft stigmatisiert werden: wegen ihrer Liebe, wegen ihres Alters, wegen ihrer politischen Ansichten oder wegen ihrer religiösen Überzeugungen. Jeder in der Europäischen Union sollte sicher sein und sich frei entfalten können. Dafür setze ich mich ein.

Click to comment

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Jetzt angesagt

Sarah Philipp Sarah Philipp

„Die Landesregierung muss unbedingt noch nachziehen“

Interview

Lassen Grüne und CDU queere Senior*innen im Stich?

Politik

„Der Schutz von LSBTIQ* ist Teil der EU-Grundrechte”

Interview

Kai Gehring (MdB): „Auf zu neuen Ufern”

Top Story

Connect
Newsletter Signup