Der schwule Essener Bundestagsabgeordnete Kai Gehring (Grüne) kandidiert 2025 nicht erneut für den Bundestag
Bundestagsabgeordnete Kai Gehring (Grüne) kandidiert 2025 nicht erneut für den Bundestag. „Anstatt ein sechstes Kapitel aufzublättern, möchte ich bald ein neues Buch aufschlagen”, schrieb der Grünen-Politiker, der seit 2005 Mitglied des Bundestages ist, an politische Gefährten. Gehring ist Vorsitzender des Bildungsausschusses im Bundestag. In den vergangenen Jahren engagierte er sich auch immer für LGBTI-Belange, nicht zuletzt in seiner Heimatstadt Essen. FRESH sprach mit ihm über die Entscheidung.
Kai, wird sind überrascht, dass Du 2025 nicht erneut für den Bundestag kandidierst. Was waren die Gründe für diese Entscheidung?
2005 wurde ich mit 27 Jahren in den Bundestag gewählt, war Jüngster in der grünen Fraktion. Als Arbeiterkind und schwuler Mann war dieser Weg alles andere als vorgezeichnet. Es ist Privileg und Ehre zugleich, Essen und das Revier seitdem in der Herzkammer unserer Demokratie zu vertreten. Nach 20 Jahren, in denen ich im Bundestag für gleiche Rechte, bessere Chancen, Vielfalt und Freiheit gekämpft habe, ist es an der Zeit, diesen Einsatz woanders fortzuführen. Mir war immer wichtig, selbstbestimmt aufzuhören, wenn’s am schönsten ist. Nachdem ich so viel erreichen konnte, ist dieser Zeitpunkt nun gekommen. Ich freue mich, bis zur Bundestagswahl 2025 als Vorsitzender des Ausschusses für Bildung und Forschung weiter mein Bestes zu geben. Und danach zu neuen Ufern aufzubrechen – auch, wenn ich das Ziel der Reise noch nicht kenne.
Du gehst also, „wenn es am schönsten ist”. Was sind denn Deiner Meinung nach die wichtigsten queer-politischen Erfolge, an denen Du beteiligt warst, was wurde erreicht?
Mit Ja für die „Ehe für alle” zu stimmen und mit Konfetti im Plenarsaal zu feiern, war die emotionalste Abstimmung meiner Mandatszeit. Möglich wurde dieser Schritt, nachdem unsere Community und wir Grüne über 25 lange Jahre eine gesellschaftliche Mehrheit dafür erkämpft hatten. Nie werde ich verstehen, wie man hassen kann, wenn zwei Menschen sich lieben. Der Wechsel in Regierungsverantwortung war eine Wende, der unserem Land queerpolitische Fortschritte brachte: Selbstbestimmungsgesetz, Aufhebung des Blutspendeverbots und der Aktionsplan „Queer Leben” sind nur einzelne Highlights. Die geplante Reform des Abstammungsrechts muss jetzt kommen, um lesbische Paare endlich gleichzustellen. Der Blick in Nachbarländer macht schmerzlich bewusst, dass Errungenschaften nicht selbstverständlich oder in Stein gemeißelt sind. Umso wichtiger, dass wir gemeinsam dranbleiben und für gesellschaftlichen Fortschritt und LGBTIQ*-Rechte kämpfen – hierzulande und weltweit!
Auch, wenn der Angriff auf Dich und Rolf Fliß nicht der ausschlaggebende Grund war, Dein Bundestagsmandat aufzugeben, zeigt die Tat, dass Hass und Gewalt in unserer Gesellschaft immer mehr zunehmen. Wie kann man die immer häufiger auftretende Gewalt gegen queere Menschen stoppen? CSDs allein reichen wohl nicht dazu aus, oder?
Ob Angriffe auf Politiker*innen und Journalist*innen, der Mord des Polizisten in Mannheim, rassistische Angriffe auf muslimische und jüdische Menschen oder die entsetzliche Verdopplung queerfeindlicher Angriffe in den letzten Jahren – all diese Vorfälle zeigen, dass aus Worten Taten werden. Sie sind symptomatisch für eine Verrohung unserer Gesellschaft von den radikalen Rändern aus – angestachelt von Desinformationen und rechten Narrativen. Die klare Trennlinie verläuft zwischen Demokraten und Anti-Demokraten. Wir dürfen uns nicht unterkriegen lassen, sondern müssen jetzt erst recht unsere Demokratie und vielfältige Gesellschaft verteidigen. Gewalt muss mit allen rechtsstaatlichen Mitteln konsequent verfolgt und hart bestraft werden. Queerfeindlichkeit, Rassismus und geschlechtsbezogene Gewalt dürfen nirgends Platz haben. Wir alle müssen ohne Angst verschieden sein, frei und sicher leben können! Dafür werde ich mich in den nächsten anderthalb Mandatsjahren und nach meiner Zeit im Bundestag einsetzen.