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Politik

“Die Krise kann kaum größer sein”

Kann „Der Synodale Weg” die katholische Kirche wirklich reformieren?- Kirchenkritiker Prof. a.D. DDr. Norbert Lüdecke im FRESH-Interview

dd. Reformen in der katholischen Kirche? Fehlanzeige! So könnte man die erneuten Versuche bei der „Synodalen Weg”-Konferenz zusammenfassen. „Mit der Ablehnung des Grundtextes zur Sexualmoral geht einmal mehr Vertrauen in die Bischöfe und die Kirche verloren. Prof. DDr. Norbert Lüdecke ist Buchautor und lehrt Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn. Zuvor war er an den Diözesangerichten Limburg und Mainz in der kirchlichen Rechtsprechung tätig. Für FRESH beleuchtet er im Interview die Hintergründe.

Das Grundsatzpapier des synodalen Wegs zu neuer Sexualethik ist gleich zu Beginn der Konferenz durchgefallen. Können Sie den Zorn, die Verärgerung und die Enttäuschung vieler Menschen verstehen?

Einerseits ja, denn die ganze Veranstaltung war ja ein einziges Buhlen um die Zustimmung der Bischöfe, denen die entscheidende Stimme zukommt. Die Verweigerer haben z. T. eiskalt taktiert: Den ganzen synodalen Prozess über haben sie sich wenig beteiligt und drei Vollversammlungen lang die Laien reden lassen, um erst im entscheidenden Moment ihre Macht auszuspielen. Und dann inszenieren sie sich nachträglich als Opfer von Druck – die übliche klerikale und episkopale Schuldumkehr. Mehr Missachtung geht kaum. Und zentral: Wieder hat das Schweigen der Hirten Leid verursacht.
Andererseits bin ich nahezu fassungslos, dass Laien nicht für möglich gehalten haben, was satzungsmäßig festgeschrieben ist. Das zeugt von einer Naivität, die vorwerfbar oder bemitleidenswert ist. Für mich war erschreckend, dass kaum jemand die Selbstachtung aufbrachte, diesen Prozess wirklich sich selbst zu überlassen, sondern sich nach dem Eklat die allermeisten von der Präsidiumskoalition aus Bischöfen und ZdK-Führung in das unveränderte Spiel haben zurückappellieren lassen. Wer solche Laien hat, der braucht wirklich keine Angst vor Reformen zu haben.

Wie groß ist nach der Aufdeckung des Missbrauchsskandals die Krise in der katholischen Kirche? Sind Reformen überhaupt noch denkbar? Gibt es überhaupt einen Dialog auf Augenhöhe, wenn Bischöfe das letzte Wort haben?

Die Krise kann kaum größer sein, und eine Bewältigung ist nicht in Sicht. In den wesentlichen, gerade die Struktur betreffenden Fragen, ist die katholische Kirche reformunfähig. Ihre letzte Frage beantworten Sie ja schon selbst: Nein, denn in einer als gottverfügt ausgegebenen Ständekirche, einer klerikalen Wahlmonarchie, in der die Ordination einiger Männer in die Subordination aller anderen führt, kann es eine echte Augenhöhe, also Gleichberechtigung, nicht geben.

Immerhin votierte die Syno-dalversammlung für eine Neubewertung von Homosexualität. Wie weit wird diese Liberalisierung gehen? Gilt das auch für Priester, wenn sie offen homosexuell leben wollen?

Zum einen ist es schon skurril genug, den Grundtext abzulehnen und den aus ihm folgenden Handlungstext anzunehmen. Das deutet darauf hin, dass der entscheidende Knackpunkt im Sexualethikpapier die Genderfrage war. Das wäre auch nachvollziehbar, denn die katholisch verbindlich binäre Geschlechteranthropologie aufzugeben, brächte eine Stütze der Männerhierarchie ins Wanken. Zum anderen sind wir beim Handlungstext erst in der Ersten Lesung des Textes, dort war der Grundtext auch noch durchgegangen. Zudem muss man sehen: Die verbindliche katholische Sexualmoral ist mit ihrer Fixierung auf den strukturell fortpflanzungsoffenen Sexualakt im Kern eine heteronormative Koitalmoral. Mit der Anerkennung der sittlichen Legitimität homosexueller Handlungen kippte dieses gesamte bisherige Konzept. Selbst, wenn eine Vollversammlung – wie viele katholische Theologen das seit langem tun – das tatsächlich von ihrem Papst erbitten wollte, stehen die Chancen auf eine Änderung schlecht. Homosexuelle Gläubige, die Gottes Anerkennung nur in Gestalt der katho-kirchlichen Anerkennung annehmen können und zu einer Emanzipation nicht fähig sind, sitzen in der Falle. Und warum homosexuelle Männer, die einst auf Gottes Ruf hin unwiderruflich keine bloßen Laien mehr sein wollten, sondern sich in der bekanntermaßen strikt heteronormativen Kirche auf die andere Seite des ständischen Grabens haben weihen lassen, diskriminatorisch anders zu betrachten sein sollen als homosexuelle Laien, kann ich nicht sehen.

Beim Thema Kirche und Staat fallen die kirchlichen Sonderrechte auf, die beharrlich aufrechterhalten werden. Die neue Bundesregierung hat eine Reform des Kirchenrechts erstmals in ihren Koalitionsvertrag mit aufgenommen. Glauben Sie hier, dass der Staat echte Veränderungen durchsetzen wird?

Ich würde hier von der Politik nicht viel erwarten. Vor der Wahl hatten sich SPD, FDP und die Grünen noch klar für eine Reform des kirchlichen Arbeitsrechts am Maßstab der individuellen Grundrechte ausgesprochen. Im Koalitionsvertrag ist davon nur noch die Absicht übrig, Änderungen mit den Kirchen gemeinsam zu prüfen. Es dürfte zwar die Zahl der Politiker zunehmen, die sich insgeheim fragen, was das noch für eine Moralinstanz sein soll, die sich Tausende von Missbrauchsopfern erlaubt, durch Vertuschung letztlich selbst verzeiht und in der Bischöfe trotz organisierter Verantwortungslosigkeit nach kurzer Erschütterung gleich wieder in den Modus der moralischen Mahner schalten. Trotzdem riskieren Politiker keine Wählerstimmen durch Zoff mit den Kirchen, sondern warten in Ruhe, bis deren quantitative Auszehrung sie kampagnenunfähig werden lässt. Zudem hat der Staat sich von den Kirchen abhängig gemacht, weil er ihnen als Wohlfahrtsträger so viel Raum gelassen hat, dass er einen Rückzug dieser Sozialkonzerne nicht kompensieren könnte.

In Ihrem kürzlich erschienenen Buch „Die Täuschung – Haben Katholiken die Kirche, die sie verdienen?” beschreiben Sie messerscharf die ausgeklügelte Dynamik kirchlicher Machterhaltung. Wie groß ist die Augenwischerei in dieser großen, tiefen Krise? Wo sehen Sie die katholische Kirche in zehn Jahren?

Die deutschen Bischöfe versuchen, dem enormen Druck durch den Missbrauchsskandal auf zwei Wegen Herr zu werden: Nach außen haben sie von Anfang an das Heft in der Hand behalten. Bis heute lässt man ihnen durchgehen, dass sie Aufklärung und Aufarbeitung einfach zu ihrer ureigenen Aufgabe erklären. Da machen dann 27 Diözesanbischöfe jeweils ihr Ding, wenn sie denn etwas machen. Beliebt ist, bei selbstgewählten Anwaltsfirmen private Gutachten mit je eigenen Fragestellungen in Auftrag zu geben. In denen kommen die amtierenden Bischöfe dann – welche Überraschung – im Vergleich zu ihren Amtsvorgängern jeweils ganz gut weg. Und dann stellen sie sich hin und nennen das „unabhängige“ Aufarbeitung. Warum man diese eigentlich durchtriebene Selbstzuschreibung duldet und medial übernimmt, habe ich nie verstanden. Schon die Auswahl der Kanzlei ist ja keine unschuldige Angelegenheit. Wer etwa Entschädigungen fürchtet wie der Teufel das Weihwasser, na der nimmt halt eine Kanzlei unter Vertrag, die jede Organisationshaftung restriktiv sieht. Die Verantwortung der bistumsmonarchischen Entscheider zerstäubt so auf Amtsvorgänger und auf einzelne leitende Mitarbeiter. Das schlimme Ergebnis solcher Kirchenregie ist eine fatale Schlussstrichpragmatik: Der jeweils amtierende Bischof wird entlastet. Unterschiedliche und umfangreiche Gutachten produzieren eine komplexe Unübersichtlichkeit. Man beteuert, künftig wird alles besser, und garniert das mit einzelnen Personalkonsequenzen. Und schon lenkt man den Blick nach vorn und damit wieder von den Betroffenen ab. Und es funktioniert: Kein Bischof musste bislang seinen Platz räumen. Mit viel Ablenkungs-PR wird ausgesessen. Derweil erschöpfen oder sterben die Betroffenen. Das Schlimme ist: Man muss nicht mal Zyniker sein, um darin die Einstellung von Bischöfen gespiegelt zu sehen: „Läuft doch.“ – Damit sollte endlich Schluss sein.

Nach innen – und das beleuchtet vor allem mein Buch – verlagern die Bischöfe den Fokus mit dem Synodalen Weg. Mit ihm haben die Bischöfe, unterstützt von willigen Laienhelfern, nach einem mehrfach bewährten Handlungsskript aus der Krise ihrer Autorität eine Kirchenkrise gemacht. Der Missbrauch wird zum Anlass, um den Katholiken als Dialog auf Augenhöhe mit Entscheidungsbefugnis zu suggerieren, was tatsächlich ein für die Bischöfe komplett unverbindlicher Meinungsaustausch ist. Am Ende steht dann eine Mindmap von Engagierten. Die enthält nichts, was nicht schon Generationen von Reformkatholiken gefordert haben. Die Bischöfe können sich so ein Partizipationsmäntelchen umhängen statt sich als das zeigen zu müssen, was sie sind: Repräsentanten eines monarchischen Religionssystems, das u. a. mit einem heteronormativen Menschenbild eine Männerherrschaft stützt und zugleich ein Legitimationsreservoir für die weltweite Diskriminierung nicht heterosexueller Menschen bereithält. Auch damit sollte Schluss sein. Jedenfalls wird der Synodale Weg die zu erwartende Versektung der katholischen Kirche in Deutschland nicht verhindern.

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