dd. Thomas Kufen (CDU) ist seit fünf Jahren Oberbürgermeister von Essen. Zeit, vor der Kommunalwahl Bilanz zu ziehen. FRESH sprach mit ihm über Erfolge und Ziele im LGBT-Bereich.
Herr Kufen, haben Sie als einer der wenigen offen schwul lebenden Oberbürgermeister in NRW Gegen- wind oder Anfeindungen bezüglich Ihrer Homosexualität bekommen? Wie ist der Umgang mit dem Thema bei Empfängen?
Alles andere als ein selbstverständlicher Umgang damit wäre ein falsches und nicht authentisches Signal. Als erster Bürger der Stadt mit einem Mann verheiratet zu sein, erlebe ich ohne Gegenwind oder Anfeindungen. So etwas ist mir persönlich nicht entgegengebracht worden. In meiner Position habe ich auch die Verantwortung gegenüber jungen Menschen und Jugendlichen, dies zu zeigen. Wenn sie in den Anfängen vor dem Outing stehen, ist es gut, dass sie durch Vorbilder in der Öffentlichkeit auch Mut entwickeln.
Zum zweiten Teil der Frage: Ich denke mein authentischer Umgang mit dem Thema ist entscheidend. Mein Mann begleitet mich wie selbstverständlich bei offiziellen Terminen, so wie es ihm möglich ist.
Wie offen würden Sie Essen aus schwul-lesbischer Sicht beschreiben? Was hat sich verbessert, seitdem Sie seit 2015 Oberbürgermeister sind?
Essen ist eine bunte, durch Vielfalt geprägte Stadt mit ihren unterschied-lich ausgeprägten Kulturen, mit verschiedenen Formen des Zusammenlebens und geprägt durch ihren Strukturwandel. Eine bunte Stadtgesellschaft hat Einfluss auf das Zusammenleben und den Zusammenhalt. Die Einbeziehung aller Vielfaltsdimensionen in Geschlechtern, Nationalitäten, ethnischen Herkünften, Religionen oder Weltanschauungen, Behinderungen, Alter, sexuellen Orientierungen und Identität ist bei uns stärker in den Fokus gerückt. Aus diesem Grund war die Stadt Essen auch Mitgastgeberin der „DiverseCity – Essen seine Vielfalt“. Das war eine Veranstaltung im Mai 2019 in der Philharmonie Essen mit Akteur*innen aus Stadtgesellschaft, Wirtschaft und Politik, um die Stärke von Vielfalt in den Fokus zu rücken.
Aus gezielt schwul-lesbischer (LSBTI*) Sicht erkennt man diese Entwicklung zur Offenheit und mehr Toleranz schon am jährlich in Essen auf dem Kennedyplatz stattfindenden RuhrCSD. Da übernehme ich immer wieder gern als OB die Schirmherrschaft. Mittlerweile hat sich der RuhrCSD als größtes schwul-lesbisches Straßenfest der Region Ruhr etabliert.
Seit meinem Amtsantritt wurde die Kommunikation dazu vertieft, ich bin immer bei Eröffnung von Tagungen und Ausstellungen wieder dabei. Dort geht es mir auch um den informellen Austausch. Dem dient auch die Bürger*innensprechstunde, die für die direkte Ansprache offen ist. Die Koordinierungsstelle LSBTI* habe ich 2016 direkt in meinem Geschäftsbereich OB angesiedelt. Seit meinem Amtsantritt findet der jährliche CSD Empfang durch den Oberbürgermeister im Rathaus statt – nur mit der Corona-Ausnahme in diesem Jahr am 1. August in der Lichtburg.
Sie hatten zum Amtseintritt angekündigt, dass auch die Stadt Essen als Arbeitgeberin Signale setzen muss und dass F.E.L.S. und Stadt gemeinsam öffentlich dafür eintreten, dass Lesben, Schwule und Transmenschen sich in Essen wohler fühlen und die Essener Szene dadurch eine Stärkung erfährt. Wie sehr ist Ihnen das gelungen?
Ich hatte schon auf die Koordinierungsstelle LSBTI* innerhalb der Gleichstell-ungsstelle im Geschäftsbereich des OB hingewiesen. Des Weiteren wird das bestehende Handlungskonzept „Gleichgeschlechtliche Lebensweisen” unter Einbeziehung der örtlichen Kooperationspartner*innen aktualisiert und weiterentwickelt. Hierzu wird bald ein umfangreicher Beteiligungsprozess initiiert werden.
Beim aktuellen Relaunch von „essen.de“ wurde aktuell eine geschlechterumfassende Sprache durch die Genderschreibweise mit dem Genderstar angewandt. Das Themenfeld „Stadt Essen als Arbeitgeberin“ wurde bereits in das aktuelle Handlungskonzept mit aufgenommen. Die Gründung des im Jahr 2018 eigenen städtischen LGBT*-Mitarbeitenden Netzwerkes unter dem Slogan „Wir l(i)eben bunt!“ ist eine weitere erfolgreiche Entwicklung in diesem Bereich. Dieses ist seitdem ein Statement für mehr Sichtbarkeit und gelebte Vielfalt innerhalb der Stadtverwaltung Essen. Durch Teilnahme an diversen Veranstaltungen schafft es Sichtbarkeit bis in die Stadtgesellschaft hinein.
Nicht zuletzt durch die Corona-Krise wurde die Szene auch in Essen in den letzten Jahren schwächer. Es schlossen Bars wie das DREXX, Moviethek oder die Dampflok, Partyevents wie Mandanzz entfielen. Bundesweite negative Schlagzeilen machte der Streit mit der Polizei um dieFetischmasken bei der CSD-Demo. Wie kann man da besser gegensteuern? Wie kann man eine Ausdünnung verhindern und Strukturen erhalten?
Unsere Kommunikation mit Polizei und Veranstaltern wurde vertieft, und es hat eine Abstimmung mit den zuständigen Behörden stattgefunden. Das Polizeipräsidium Essen hat dieses Thema intern nachbereitet und wird regelmäßig mit solchen Versammlungslagen befassten Kräfte entsprechend sensibilisieren. Unsere Zusammenarbeit läuft auch in Corona Zeiten sehr gut, wie z.B. kürzlich beim Abstimmungsgespräch zur aktuellen RuhrCSD Demonstration. Diese findet am 12.September in der Innenstadt statt und ich bin wieder dabei.
Die Rahmenbedingungen sollten gerade in dieser Zeit stimmen und in Sicherheits- und Ordnungspolitik mit einfließen. Als aktuelles Beispiel wurde die alteingesessene Szene Gastronomie „Zum Pümpchen“ durch Umwidmung von Parkflächen zur Nutzung für neue Außengastronomie unterstützt. Der Themenpunkt „Kultur /Szene“ ist bereits im aktuellen Handlungsprogramm enthalten. Die aktuelle Ausstellung zu „100 Jahre schwul lesbische Geschichte in Essen“ wurde am 31. Juli 2020 durch mich im Rathaus eröffnet.
In Polen werden zurzeit LGBT-freie Zonen ausgerufen und CSDs verboten oder massiv behindert. Zabrze, Essens polnische Partnerstadt, ist zur Zeit noch nicht betroffen, wohl aber Regionen in der Umgebung. Schwerte hat die Städtepartnerschaft mit der polnischen Stadt Nowy Sacz ruhen lassen. Ist das ein Vorbild für andere Städte mit polnischen Partnerschaften? Wie kann man sonst den LGBT-freien Zonen entgegenwirken?
Die Entwicklungen in Polen und vielen weiteren LSBTI*- skeptischen Regionen weltweit verfolge ich selbstverständlich mit Bedenken. Jedoch sollten weiter ein klarer Blick und Überlegungen, wie die Verbände und Regionen in partnerschaftlichem Austausch vor Ort gestärkt werden, für Essen ausschlaggebend bleiben. Jede Kommune muss die Entwicklungen individuell und sensibel betrachten. Für Essen wird ein aktiver Dialog und partnerschaftliche Verantwortung gepflegt. Bereits im letzten Jahr konnten auf Initiative der Aidshilfe Essen e.V. zwei ehrenamtlich engagierte Personen aus der Region Katowice, mit engen Verbindungen nach Zabrze, beim RuhrCSD in Essen empfangen werden. Einladungen und Gespräche zu gleichstellungspolitischen und LSBTI* Themen mit unserer Partnerstadt in Polen laufen aktuell aus dem Bereich Internationales in meinem Büro und werden bearbeitet.