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Politik

„Wir brauchen einen Regenbogen-Rettungsschirm”

Sven Lehmann, MdB

Sven Lehmann, Sprecher für Queerpolitik der Grünen im Bundestag im FRESH – Interview

dd. Sven Lehmann ist seit der Bundestagswahl 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages in Berlin. Dort ist er queer-politischer Sprecher der grünen Fraktion. FRESH sprach mit dem Kölner über aktuelle queere Themen.

Sven, durch die Corona-Krise stehen viele kulturelle Einrichtungen, wie z.B. der RevuePalast hier bei uns in NRW, vor dem Aus, genauso wie manche Szene-Lokale und Party-Events. Was müsste passieren, um eine Ausdünnung der Szene zu verhindern?

Wir brauchen einen Regenbogen-Rettungsschirm. Viele Angebote in der Community stehen stark unter Druck. Die Corona-Krise trifft Kunst- und Kulturschaffende besonders hart. Wir fordern, dass sie einen monatlichen Beitrag von 1.200 Euro der Soforthilfe für ihren privaten Lebensunterhalt nutzen können. Das haben wir bereits im April im Bundestag beantragt. Außerdem brauchen wir einen  Kulturrettungsfonds. Leider zeigen Bundes- und Landesregierung wenig bis keine Sensibilität für die besonderen Probleme in der Branche.

Stichwort Sichtbarkeit. Die CSD- und Straßenfeste fallen in diesem Jahr im ganzen Land aus. Was gibt es für Alternativen?

Unsere Sichtbarkeit ist überlebens-wichtig – auch und gerade während Corona! Bundesweit haben die CSDs sehr unterschiedlich reagiert. Manche werden verschoben, andere finden
digital statt. Ich habe großen Respekt davor, dass so viele Ehrenamtliche versuchen, auch unter diesen erschwerten Bedingungen Flagge zu zeigen. Ich hoffe sehr, dass das die
Medien transportieren. Der gesellschaftliche Umgangston wird rauer, auch durch die AfD. Zu-letzt hetzte sie in der Bundestagsdebatte zum Transsexuellengesetz. Aggressionen und sprachliche Gewalt gegen queere Menschen gibt es auch immer mehr im Netz und ist oft die Vorhut von körperlicher Gewalt. Müssen sprachliche oder körperliche Gewalt nicht stärker bestraft werden?

Das ist wirklich erschreckend. Aber Beleidigungen und körperliche Gewalt sind ja bereits heute Straftatbestände. Ich sehe das Problem eher in der Durchsetzung geltenden Rechts. Auch in Teilen der Justiz haben sich in den letzten Jahren Maßstäbe verschoben. Da müssen wir viel genauer hinsehen und gemeinsam unsere Stimme erheben! Kampagnen wie „Zeig sie an!“ von 100% Mensch und die Sensibilisierung der Polizei sind enorm wichtig, da die Dunkelziffer bei Straftaten, die im Bereich der Homo- und Transfeindlichkeit verübt wurden, immer noch bei über 90% liegt.

Wird es eine baldige Abschaffung des Transsexuellengesetzes geben? Wo siehst du dadurch die wichtigsten Verbesserungen für Trans* Menschen?

Wir Grüne haben jetzt ein Selbst-bestimmungsgesetz in den Bundestag eingebracht, das das jetzige Transsexuellengesetz ablösen soll. Die Zeit ist überreif. Denn das TSG ist ein Angriff auf Würde und Selbstbestimmung. Die aktuelle Rechtslage strotzt vor Schikanen und sie hat viel Leid geschaffen, das bis heute anhält. Wir brauchen einfache Verfahren für die Änderung von Vornamen und Geschlechtseintrag. Ohne pathologisierende Zwangs-gutachten. Außerdem brauchen wir einen Rechtsanspruch auf Gesundheitsleistungen und auf Beratung in Fragen der geschlecht-lichen Identität. Unser Gesetzentwurf verbietet zudem genitalverändernde chirurgische Eingriffe an intergeschlechtlichen Kindern, die medizinisch nicht notwendig sind. Ich freue mich riesig über den großen Zuspruch zu unserem Gesetzentwurf. Jetzt ist die Große Koalition am Zug.

Blutspenden ist weiterhin für uns verboten. Wo siehst du die größten Hindernisse? Wann gelten bei uns so liberale Gesetze zum Spenden wie schon in großen Teilen Europas?

Männer, die Sex mit Männern haben, sowie Transpersonen dürfen ja spenden, müssen vorher aber ein Jahr auf Sex verzichten. Irre, oder? Und das, obwohl händeringend Blutspender*innen gesucht werden. Der Bundestag muss der Bundesärztekammer hier deutliche Vorgaben machen. Entscheidend muss das individuelle Risikoverhalten sein – und nicht die Frage, ob jemand lesbisch, schwul, bisexuell, trans- oder intergeschlechtlich ist. Es kann ja wohl nicht sein, dass ausgerechnet Ungarn mit Viktor Orbán in dieser Frage weiter ist als Deutschland.

In Polen werden zurzeit LGBT-freie Zonen ausgerufen und CSDs verboten oder massiv behindert. Wie kann man dem entgegenwirken?

Durch Druck und Gegenöffent-lichkeit! Die deutschen Kommunen müssen den Dialog mit ihren polnischen Partnerschaftsstädten suchen und gleichzeitig die LGBTIQ-Community vor Ort unterstützen. Notfalls müssen die Partnerschaften ausgesetzt werden. Unsere Grundrechte enden nicht an den deutschen Grenzen. Es braucht internationale Solidarität!

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