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Interview

Queerbeauftragter Sven Lehmann (Grüne) im FRESH-Interview

Queerbeauftragter Sven Lehmann (rechts), hier beim CSD in Münster 2023 im FRESH-Interview

dd. Sven Lehmann ist seit 1999 Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen und seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages. 2018 bis 2021 war er Sprecher für Queerpolitik. Seit 2021 ist er Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und seit Anfang 2022 Deutschlands erster Queerbeauftragter der Bundesregierung.

Die Straßenfeste und CSDs erhalten in NRW in diesem Jahr erstmalig je 5000 Euro an finanzieller Unterstützung – bisher aber nur in unserem Bundesland. Wäre das nicht auch in ganz Deutschland wünschenswert? Unterstützt Du das?

Wie der ganzen Community bedeuten auch mir CSDs sehr viel. Diese Demonstrationen feiern den Mut, sich gegen Diskriminierung zu verteidigen, um in Freiheit und in Würde leben und lieben zu können. Auf CSDs werden die politischen Forderungen der Community in die breite Öffentlichkeit getragen. Und für LSBTIQ* gibt es noch immer viele Gründe, auf die Straße zu gehen. Gerade in diesem Jahr, wo es so viele Angriffe auf CSDs gab.

In die CSD-Organisation fließen viel Zeit und Energie, fast ausschließlich rein ehrenamtlich. Wir unterstützen das. So nutzen einige Städte und Gemeinden Gelder über unser Programm „Demokratie leben“, um CSDs zu unterstützen. Ich finde es toll, dass nun auch in NRW die CSDs finanziell unterstützt werden und die Landesregierung der Community vor Ort den Rücken stärkt. 5.000 € helfen vor allem den CSDs in kleineren Städten, wo es nicht so viele Sponsor*innen gibt.

Beim Thema neue Richtlinien in der Blutspende gibt es ja viel Kritik von Verbänden und den Aidshilfen. Karl Lauterbach hat im Vormonat im FRESH-Interview die neuen Richtlinien uneingeschränkt verteidigt. Siehst Du das anders?

Die sexuelle Orientierung und die Geschlechtsidentität sind bei der Blutspende keine Rückstellungsgründe mehr. Das wurde gesetzlich klargestellt und das ist die gute Nachricht nach Jahrzehnten der Diskriminierung. Allerdings stellt die Bundesärztekammer immer noch Menschen pauschal von der Blutspende zurück, ohne dass sie das ausreichend begründet. Safer Sex oder Prep spielen gar keine Rolle in den Abfragen, obwohl beides großen Einfluss auf das Risiko hat. Da kann ich die Kritik der Verbände nachvollziehen.

Die AfD gewinnt mehr und mehr Stimmen. Auch in der Community gibt es viele, die sich mit pauschalen Verunglimpfungen und rechtem Gedankengut lautstark hervortun. Wie gefährlich ist die AfD in puncto Schwule, Lesben und Trans*? Was würdest Du einem schwulen jungen Mann sagen bzw. raten, der vorhat, AfD zu wählen?

Wer das Programm und die Reden anschaut und Social-Media-Beiträge ernst nimmt, dem muss klar sein: Die AfD ist eine gefährliche Alternative für LSBTIQ*. Wir sollen entrechtet und wieder in die Unsichtbarkeit gedrängt werden. Die AfD will die Ehe für alle wieder abschaffen. Im Unterricht über LSBTIQ* zu sprechen gilt für sie als „Propaganda“ und „Angriff auf die traditionelle Familie“. Nationalistischer Stolz statt Pride. Da sollte man sich von einer Alice Weidel nicht täuschen lassen.
Der völkische Höcke-Flügel ist in der AfD so mächtig wie nie zuvor. Die AfD radikalisiert sich weiter und weiter. Der Verfassungsschutz beobachtet, dass Rechtsextreme immer offener und aggressiver gegen LSBTIQ* agitieren. Jegliche Abweichung von der heteronormativen Kleinfamilie gilt in ihrer völkisch-biologistischen Ideologie als „Zersetzung des Volkskörpers“, als Anzeichen von gesellschaftlichem Verfall.

Mich erschreckt vor allem diese Verachtung für Menschen, die sich bei der AfD Bahn bricht. Eine Gesellschaft, in der Hass, Verachtung und Wut gefeiert, gar angestachelt werden, ist keine Gesellschaft, in der Minderheiten wie LSBTIQ* sicher sind. Das sollte jedem klar sein.

Wann dürfen wir denn nun mit dem Selbstbestimmungsgesetz rechnen? Woran liegen die Verzögerungen? Sicher nicht an den Grünen, oder?

Trans*, inter* und nicht-binäre Menschen warten schon ewig auf das Ende staatlicher Bevormundung. Mit dem Selbstbestimmungsgesetz werden wir das unwürdige Transsexuellengesetz abschaffen. Das ist historisch. Statt psychiatrischer Zwangsgutachten und teurer Gerichtsverfahren soll künftig eine Eigenerklärung beim Standesamt ausreichen, um den korrekten Geschlechtseintrag und Namen zu erhalten. Das war immer eine zentrale Forderung aus der Community.

Ende August hat die Bundesregierung endlich den Gesetzentwurf beschlossen. Jetzt beginnt das parlamentarische Verfahren im Bundestag. Die Fraktionen können nun über Verbesserungen beraten und entscheiden über den Zeitplan. Laut Innenministerium wäre ein Inkrafttreten am 1.11.2024 möglich. Die Fraktionen sollten prüfen, ob das schneller geht. An den Grünen wird es sicher nicht scheitern.

Wir sollten das Thema homophobe Gewalt nicht vergessen. Reicht Prävention alleine aus? Wie können wir es schaffen, oder noch besser, wie kannst Du erreichen, dass die Zahlen nicht weiter steigen und die Gewalt nachlässt?

Laut offiziellen Zahlen gibt es jeden Tag mindestens drei Angriffe auf LSBTIQ* in Deutschland. Die Dunkelziffer ist deutlich höher. Bei allen Fortschritten: LSBTIQ* bleiben eine verwundbare Gruppe. Das gehört leider zur traurigen Realität. Gezielt geschürter Hass auf Regenbogenflaggen, Kampagnen gegen den Pride-Monat oder tagtägliche Angriffe auf das Selbstbestimmungsgesetz ermutigen Menschen, ihre Vorurteile und ihren Hass auch gewalttätig auszuleben.
Die Antwort auf die zunehmenden Übergriffe muss sein: mehr Schutz, bessere Gesetze gegen Diskriminierung, mehr Solidarität auf allen politischen Ebenen mit LSBTIQ*! Daher ist es so wichtig, dass sich die Innenminister*innen der Länder erstmals verpflichtet haben, die Prävention, Erfassung und Bekämpfung von LSBTIQ*-feindlicher Gewalt zu verbessern. NRW-Innenminister Reul muss das auch für NRW umsetzen. Dazu gehören auch Ansprechpersonen bei den Polizeien und interne Fortbildungen. Im Bundestag haben wir ein Gesetz verabschiedet, um Hasskriminalität gegen LSBTIQ* zukünftig besser zu ahnden. Denn jeder Mensch hat es verdient, frei, sicher und offen in dieser Gesellschaft leben zu können. Wer Hasstaten gegen LSBTIQ* ausübt, muss ab jetzt mit der vollen Härte des Strafrechts rechnen!

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