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Politik

“Rassismus gibt es auch in der Szene”

Gianni Jovanovic im FRESH Interview über die Community und Diversität

mt. Gianni Jovanovic ist Sohn einer Roma-Familie. Er wurde 1978 in Rüsselsheim geboren. Anfang 20 outete sich Gianni als schwul. Seit 13 Jahren lebt er mit seinem Ehemann zusammen. Als Aktivist engagiert er sich für die Rechte von Sinti & Roma wie auch für die queere Community. Bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus am 27.01. hielt er eine kritische Rede. Er lebt in Köln, ist Unternehmer und tritt auch als Comedian auf.

Hallo Gianni, erzähl mir doch bitte von deiner Kindheit.

Ich bin als Deutscher geboren, bin hier aufgewachsen, aber nicht als solcher akzeptiert worden. Meine Familie ist mit mir als Kind, wie viele Roma, umhergezogen. Man wollte uns aber nicht als Nachbar haben. Dies gilt nach wie vor. Jeder dritte Mehrheitsdeutsche will keinen Roma als Nachbar haben, weil die Menschen Vorurteile und Stigmatisierungen im Kopf haben. Eigentlich wissen sie nichts über unsere Volksgruppe, haben nur Klischees im Kopf. Ihre vorgeblichen Kenntnisse haben sie nur über einseitige mediale Berichterstattung oder übers Hörensagen. Weil, wenn sie Kontakt hätten, wüssten sie, dass Roma eine vielseitige heterogene Gruppe sind, wo eben nicht alle gleich sind.

Die Roma wurden von den Nazis verfolgt und ermordet. Wie war euer Leben nach dem Kriegsende?

Die Familien waren komplett traumatisiert. Und die ehemaligen Nazis waren ja noch alle da! Der Rassismus der Nazis war auch nicht verschwunden. Familien hatten Angst, ihre Kinder in die Schule zu geben. Während der Nazizeit sind dort die Kinder von der Schule ins KZ gebracht worden. Und wenn, kommen die Kinder von Sinti und Roma direkt in die Förderschule, egal wie gut oder schlau du bist.

Wie sieht das heute aus?

Der Rassismus gegen Sinti und Roma ist in fast allen Facetten der Gesellschaft vorhanden. Ob es die Bildung ist, ob es das Arbeitsleben ist, ob es das Gesundheitswesen ist, ob es Kunst und Kultur sind oder politische Teilhabe. Für viele sind Sinti und Roma eine Projektionsfläche, vor allem für die, denen es schlecht geht. Die brauchen jemanden, dem es noch schlechter geht.

Auch in der queeren Szene?

Auch da. Ich wollte während des CSD Berlin in den Prinzknecht, eine bekannte Szenekneipe. Der Türsteher schlägt mir mit der Hand auf die Brust ein und sagt zu mir in Englisch: Hier kommst du nicht rein! Er kennt mich gar nicht. Nur, weil ich nicht weiß bin. Eine bestimmte sexuelle Orientierung ist keine Gewährleistung dafür, dass man nicht Rassist ist. Schau, ein Typ wie David Berger, der heute bester Freund von Alice Weidel ist. Auch der ist Teil der Identitären Bewegung. Auch wenn er intelligent ist, immerhin hat er ja promoviert. Ich würde ihn nicht Nazi nennen, dieser Begriff wird mir heute zu inflationär benutzt und verharmlost die Zeit des Nationalsozialismus für deren Opfer. Er hat seinerzeit die Doppelmoral der katholischen Kirche offen gelegt und wurde ausgestoßen. Das ist eine verletzte Seele. Er tut mir extrem leid. Seine Ideologie ist aber die Xenophobie. Diese Menschen sind für mich gefährlich. Sie sind Hetzer, z.T. Kriminelle und z.T. Terroristen.

Wie erlebst du denn die queere Szene?

Ich lebe seit 1993 hier in Köln, bin damals mit meiner Familie hierhergezogen. Als junger Mensch war ich eher in der Partyszene unterwegs, z. B. im Lulu. Das hat sich mittlerweile sehr verändert. Meine Sichtbarkeit in der Szene hat sich queerpolitisch ausgeweitet.

Du engagierst dich bei den queeren Roma.

Ja. Wir sind als queere Roma-Gruppe beim CSD in Köln gewesen und haben einen Wohnwagen gezogen. Soviel Klischee muss sein.

Was braucht die Community in der Zukunft?

Mehr Diversität. Der Kölner Lesben- und Schwulentag sagt, wir sind divers. Warum, weil wir von 10 Vorständen 3 Frauen haben? Aber alle sind weiß. Wir brauchen mehr Sichtbarkeit für Andersfarbige, mehr für Trans*menschen, mehr für Lesben. Deutschland ist nicht mehr nur weiß. Schau dir an, wenn du in die USA fliegst, nach San Francisco oder New York: Da sind alle Hautfarben dabei, jede sexuelle Orientierung, Trans*frauen und Trans*männer. Da müssen wir hin. Wenn du ein dunkelhäutiger Kölner bist, findest du dich hier nicht wieder. Und wir brauchen wieder Treffpunkte, wo es sich alle leisten können hinzugehen. Unsere Gesellschaft ist auf Solidarität aufgebaut und nicht auf Ausgrenzung.

(Anm. d. Red.: Der Kölner Lesben- und Schwulentag hat aktuell sechs Vorstände. Drei Männer, drei Frauen, zwei davon lesbisch, eine Person hat Migrationshintergund.)

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