Kai,
die Europawahl empfanden viele EU-Bürger als besonders wichtig, weil
richtungsweisend. Welche konkreten Signale werden von den hier sehr
erfolgreichen Grünen nun im EU-Parlament als erstes folgen, um neues Vertrauen zu schaffen bei Bürgerinnen und Bürgern?
Wir Grüne sind eine
klar pro-europäische Partei, die für ökologische und soziale Erneuerung
der EU steht. Daher haben wir eine Verantwortung dafür,
fortschrittliche Mehrheiten zu ermöglichen. Europa muss seine
demokratischen Werte leben und verteidigen. Dazu zählt die Freiheit
aller Bürger*innen und die Rechtsstaatlichkeit.
Das
Erstarken nationaler, rechter und rechtsradikaler Strömungen in immer
mehr EU-Ländern beunruhigt besonders die Community, die ihre mühsam
errungenen Freiheiten gefährdet sieht. Was können die Grünen auf
EU-Ebene und was wirst du konkret dagegen unternehmen?
Die vielfältige
Zivilgesellschaft Europas ist der beste Schutz gegen nationalistische
Einfalt. Autoritären Tendenzen, wie in Ungarn und Polen, müssen wir
entschieden entgegengetreten – z.B. durch einen besseren EU-Mechanismus
zur Verteidigung des Rechtsstaates. Ich setze mich dabei besonders für
Pressefreiheit und die LSBTTI-Gleichstellung ein.
Im
April hast du auf die Antwort der Bundesregierung zur Lage der
LSBTTI-Community weltweit auf die „brutale Realität 2019“ hingewiesen
und der Regierung Tatenlosigkeit vorgeworfen. Was muss als erstes
angepackt werden?
Liebe ist Liebe – und zwar weltweit. Trotz Fortschritten mancherorts gibt es massive Rückschritte: Die Todesstrafe für Homosexualität in Brunei ist ein erschreckendes Beispiel dafür und mahnt uns, beim Kampf für gleiche LSBTTI-Rechte nicht nachzulassen. Auch in anderen Ländern ist die Lage dramatisch. So droht Schwulen in Mauretanien, Iran, Saudi-Arabien, Sudan, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Jemen nach wie vor die Todesstrafe. Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt darf nirgendwo zu Diskriminierung oder Verfolgung führen! Gegen Machthaber und Regime, die LSBTTI unterdrücken und verfolgen, muss es gezielte Sanktionen geben. Dazu gehören Einreisesperren für Verfolger, das Einfrieren von Auslandskonten und anderer Vermögenswerte. Außerdem brauchen wir eine LSBTTI-inklusive Entwicklungszusammenarbeit von deutscher und europäischer Seite. LSBTTI-Flüchtlinge verdienen unseren Schutz.
Muss sich aus Deiner Sicht auch in Deutschland selbst etwas ändern?
Eindeutig ja! Wer Menschenrechte glaubwürdig verteidigen will, muss auch im eigenen Land konsequent handeln. So ist Deutschland im Personenstands- und Transsexuellenrecht hinter fortschrittliche Regelungen anderer Länder zurückgefallen. Das müssen wir ebenso in Angriff nehmen wie die Verankerung des Schutzes vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität in der Verfassung.
Mit Bildungsministerin Karliczek scheint dich eine spezielle Liebe zu verbinden, sie ist zumindest gern genutzte Zielscheibe für Kritik an der Politik aus dem Forschungsministerium. Was kritisierst du an bzw. forderst du von ihr?
Karliczek muss endlich wichtige Themen anpacken. Es ist unterirdisch, wenn eine Forschungsministerin den einhelligen Forschungsstand zu Kindern in Regenbogenfamilien nicht kennt und stattdessen Vorurteile schürt. Ihr Job wäre doch, für Wertschätzung von Vielfalt in Schulen und Hochschulen zu sorgen! Als Bildungspolitiker fordere ich, dass sie endlich gleiche Chancen für alle in den Mittelpunkt stellt.