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Politik

„Das ist Ausdruck von Barbarei und Rückständigkeit”

Saskia Esken, Bundesvorsitzende der SPD. Foto: imago images / Reichwein

Saskia Esken, zusammen mit Norbert Walter-Borjans Bundesvorsitzende der SPD, im FRESH-Interview

dd. Die SPD-Basis hat Saskia Esken zu einer der zwei Vorsitzenden der Partei gewählt. Zum ersten Mal äußert sich die neue Parteivorsitzende der SPD umfänglich zu queeren Fragen und der LGBT-Thematik im FRESH Magazin.

Frau Esken herzlichen Glückwunsch zur Wahl als Vorsitzende und Vorsitzenden der SPD. Mit einer Doppelspitze betreten Sie hier Neuland. Welche Bedeutung hat die Doppelspitze für die Geschlechtergerechtigkeit in der deutschen Politik und in der SPD?

Völliges Neuland ist das bei uns ja nicht mit der Doppelspitze. Aber die letzte ist schon mehr als 100 Jahre her. Und es waren immer nur Männer. Eine paritätische Doppelspitze, das ist in der Tat neu in 156 Jahren SPD-Geschichte. „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit, Schwestern, zum Lichte empor” – das ist nicht nur eine Phrase für uns. Diese Parität ist ein deutliches Signal für die Gleichstellung von Männern und Frauen in Führungspositionen. Dass eine weibliche Vorsitzende alleine noch keine gute Gleichstellungspolitik macht, sehen wir ja an der CDU. Und außerdem scheint das ja jetzt auch zu Ende zu gehen.

Ihr Vorgänger im Amt, Sigmar Gabriel, kritisierte jüngst bei einer Rede in Hamburg, dass sich die SPD zu sehr auf Politik für Minderheiten konzentriert habe. Explizit nannte er neben Gleichstellung und Migration hier auch Schwulenrechte. Dadurch sei die Bindung zwischen den klassischen Wählern und der Partei verloren gegangen. Wie stehen Sie zu dieser Aussage?

Die Gleichstellung von Männern und Frauen ist ein Minderheitenthema? Und: Auch die Belange von Migranten, die Rechte von queeren Menschen, die Inklusion von Menschen mit Behinderung dürfen nicht nur ein Anliegen der Betroffenen sein. Sie gehen uns alle an, weil es ohne sie keinen echten Zusammenhalt in der Gesellschaft gibt. Offenheit, Vielfalt, Zusammenhalt – das liegt in den Genen der Sozialdemokratie. Ich erinnere an die Auszeichnung des Schwulen Netzwerks für Franz Müntefering mit der Kompass-Nadel. Oder an August Bebels Initiative zur Abschaffung des § 175 StGB
schon im Jahr 1904.

In welchen Bereichen will sich die SPD zukünftig für die Belange von queeren Menschen einsetzen? Welche Chancen sehen Sie hier, dies in der Großen Koalition mit den Unionsparteien umzusetzen?

Wir wollen, dass Normalität wird, was normal ist. Kein queerer Mensch darf wegen der sexuellen Identität diskriminiert werden. Mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz haben wir seinerzeit einen großen Sprung gemacht. Und die Ehe für alle hätte es ohne den Druck von Martin Schulz so nicht gegeben. Aktuell haben wir mit der Union den sogenannten Konversionstherapien den Kampf angesagt. Das Verbot kommt jetzt. Wir bleiben dran, den Diskriminierungsschutz des Grundgesetzes immer weiter zu verbessern: Art. 3 Abs. 2 GG muss um die sexuelle Identität ergänzt werden. Auch beim Personenstands- und Transsexuellengesetz sind wir beharrlich. Wir Sozis sind es gewohnt, dicke Bretter zu bohren.

In vielen Ländern steht Homosexualität unter Strafe, teilweise sogar unter Todesstrafe. Wäre es für Sie eine Option, solchen Ländern die Entwicklungshilfe zu kürzen oder zu streichen?

Dass Frauen und Männer immer noch um ihr Leben fürchten müssen, weil sie lieben, wen sie lieben, ist Ausdruck von Barbarei und Rückständigkeit. Ich verurteile das. Wir müssen einen Beitrag dazu leisten, dass diese Staaten ihre Grausamkeit endlich beenden. Wenn das Geld, das durch die Entwicklungszusammenarbeit eingesetzt wird, hier gesellschaftliche und politische Verbesserungen bewirkt, ist es gut angelegt. Entscheidend ist die Entwicklung: Wenn die auch für Lesben und Schwule Fortschritte bringt, ist das gut. Wenn nicht, muss man diese Zusammenarbeit überdenken.

Akzeptanz und Gleichstellung ist der offizielle Name der queeren Arbeitsgemeinschaft in der SPD (SPDqueer). Welchen Stellenwert haben die Arbeitsgemeinschaften unter Ihrem Vorsitz?

Für eine große und vielfältige Partei wie die SPD sind die Arbeitsgemeinschaften ein wichtiges Fundament der politischen Arbeit nach innen und nach außen. Starke inhaltliche Positionierungen werden hier von Expert*innen vorgenommen, die auf Grund ihrer Lebensrealitäten nicht nur nah an den Themen dran sind, sondern auch an einer Vielzahl wichtiger Akteur*innen und Bündnispartner*innen in diesem Bereich. Doch auch die institutionelle Einbindung der AGen entbindet die Gesamtpartei nicht von der Verantwortung, LSBTIQ*-Anliegen umzusetzen.

Vor zwei Jahren versprach die Bundesregierung, Forschungsprojekte auf dem Gebiet zur Homosexuellen- und Transfeindlichkeit zu unterstützen. Bislang wurde aber nur ein kleines Projekt gefördert. Die Forschungsministerin Anja Karliczek (CDU) blockiert hier wohl. Kann die SPD hier ihre inhaltlichen Unterschiede öffentlich klar stellen?

Dass CDU/CSU und allen voran Frau Karliczek hier nicht in die Gänge kommen, ist ein bezeichnendes Bild. Ich will mich dafür einsetzen, dass diese Vereinbarung auch eingehalten wird. Ich will auf jeden Fall mehr Forschung zu Homo- und Transfeindlichkeit. Als Politikerin bin ich auf solide Daten angewiesen, um das Leben der Menschen hier sicherer und besser zu machen.

Das Transsexuellengesetz bedarf einer Erneuerung. Der Referentenentwurf aus dem Jahr 2019 wurde von allen Verbänden als unzureichend abgelehnt und uns scheint, dass er aktuell nicht mehr verfolgt wird. Passiert da noch was in dieser Legislaturperiode? Wie wichtig ist dies für die SPD?

Das hoffe ich doch sehr. Ich setze mich jedenfalls dafür ein, dass das Gesetz zum Besseren für die Betroffenen geändert wird – und zwar bald. Wir sprechen hier von Menschen, die oft in einer besonderen Druck- und nicht selten auch Leidenssituation sind. Deshalb ist es letztendlich gut, dass der Entwurf so intensiv diskutiert wurde. Es fällt einem doch kein Zacken aus der Krone, wenn man ihn noch mal, dann aber auch besser macht.

Im Rennen um den Parteivorsitz trat auch das Duo Christina Kampmann und Michael Roth an. Beide besuchten letztes Jahr den CSD Köln. Kann die queere Community dieses Jahr auch mit einem Besuch von Ihnen bei einem CSD rechnen?

Die CSDs sind ein stolzes Zeichen der Community, in Köln, bei mir zu Hause in Stuttgart und in vielen anderen Städten. Seit vielen Jahren ist die SPD mitten drin, und wir wünschen schon heute allen eine tolle, bunte CSD-Saison 2020. Als Doppelspitze sollte es uns wohl möglich sein, den CSD in Köln am 5. Juli nicht zu verpassen.

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