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Politik

„Endlich einen wirksamen nationalen Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie auf den Weg bringen”

Kevin Kühnert (SPD)

dd. Kevin Kühnert (*1989) war Bundesvorsitzender der Jusos in der SPD und ist jetzt stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD. Er kandidiert im Wahlkreis Berlin-Tempelhof-Schöneberg und ist Platz 3 auf der Berliner Landesliste. FRESH sprach mit ihm über die aktuellen politischen LSBTI-Fragen.

Kevin, in Deutschland dürfen Schwule immer noch kein Blut spenden und z.B. das Transsexuellengesetz ist trotz Ankündigung von CDU und SPD nicht reformiert worden. Wie ist deine Bilanz für Verbesserungen für queere Menschen in Bezug auf die letzte CDU/SPD Bundesregierung?

SPD und Union stehen sich nicht nur, aber insbesondere in der Queerpolitik mit sehr gegensätzlichen Positionen gegenüber. Der Union politischen Fortschritt abzuringen, braucht immer viel Zeit, Nerven und am Ende stellt sich meist die Frage, ob man sich für den Spatz in der Hand oder für die Taube auf dem Dach entscheidet. Die Reform des Transsexuellengesetzes ist genau so ein Beispiel. Trotz jahrelanger Beratungen war es nicht möglich, mit den Konservativen eine Lösung im Sinne der Betroffenen zu vereinbaren. Die SPD wird definitiv keiner Reform zustimmen, bei der weiterhin medizinpsychologisch geschultes Personal hinzugezogen werden soll, denn Selbstbestimmung ist für uns keine Verhandlungsmasse. Und beim Blutspendeverbot für schwule Männer stehen sowohl der Gesundheitsminister, als auch die Bundesärztekammer auf der Bremse und bewegen sich keinen Zentimeter. Bei den unsäglichen Konversionstherapien konnten wir erreichen, dass diese nun bei Minderjährigen komplett und bei Erwachsenen bedingt verboten sind. Auch beworben werden dürfen sie nicht mehr. Und auch das OP-Verbot an inter*Kindern ist eine wichtige Errungenschaft. Unter dem Strich ist die Bilanz aber so: CDU/CSU haben sich nach Kräften angestrengt unserer Community zu beweisen, dass sie bei uns zu recht wenig Vertrauen genießen.

Der homosexuellenfeindliche Mord in Dresden war ein Anschlag auf unsere tolerante und freiheitliche Gesellschaft. Wie kann man sehr viel entschlossener gegen homo- und transfeindliche Hasskriminalität vorgehen?

Zunächst einmal gehören homo- und transfeindliche Verbrechen als solche benannt und in Statistiken erfasst. Solange das nicht der Fall ist, wird weiter nach dem Prinzip „aus den Augen, aus dem Sinn“ verfahren. Die Folge haben wir in Dresden erlebt: Die Betroffenen werden anonymisiert und die Angriffe auf sie erscheinen plötzlich wie bedauerliche Zufälle. Das ist respektlos gegenüber den Angegriffenen und es verhindert einen systematischen Lernprozess von Politik, Sicherheitsbehörden und Gesellschaft. Dieser wäre aber dringen notwendig, beispielsweise um endlich einen wirksamen nationalen Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie auf den Weg zu bringen.

Die Corona-Krise fordert LSBTI ganz besonders, das bestätigt auch eine neue Studie der Magnus-Hirschfeld-Stiftung. Beratungsangebote entfallen, die gesundheitliche Versorgung und Community-Strukturen leiden. Wie kann man dem entgegenwirken?

Auch in der queeren Community stehen allen Beschäftigten sowie den gastronomischen und anderen Betrieben die verschiedenen Hilfen des Staates offen. Vom Kurzarbeiter*innengeld bis zu den Neustarthilfen gibt es da ganz unterschiedliche Wege. Weil nicht alles ausgeglichen wird, ist jedoch auch Solidarität gefragt. Ich erlebe, dass viele Clubs durch Kreativität und die Treue ihrer Stammgäste durch die Pandemie getragen werden. Und in Berlin habe ich mit „Kneipenretter“ selbst eine Initiative mitgegründet, die insbesondere für die versteckten Verluste in der Krise sammelt – beispielsweise die Trinkgelder. Dadurch sind schon über 100.000 Euro zusammengekommen. Wir sind uns der Tragweite sehr wohl bewusst. In der Community geht es bei einer queeren Bar nicht allein um eine unternehmerische Existenz, was schon bedeutsam genug ist, sondern auch um einen sozialen Freiraum. Beides zu schützen ist auch Verantwortung der Politik.

Ist das neue Gesetz zur Rehabilitierung der queeren Bundeswehrangehörigen und die Reform der PDV 300 im Polizeidienst in ihrer Form so ausreichend?

Die Rehabilitierung queerer Bundeswehrangehöriger – übrigens auch Angehöriger der NVA – war überfällig. Die SPD setzt sich dabei für weitere notwendige Verbesserungen ein, beispielsweise die Einsetzung einer Härtefallkommission zur Beurteilung sogenannter Mischurteile oder auch zur Schaffung einer Kollektiventschädigung, um die vielen Fälle zu kompensieren, in denen Betroffene ihre Ansprüche nicht geltend machen können oder wollen. Das alles wird weiterhin verhandelt. Dass die PDV 300 endlich ihre binärgeschlechtliche Welt verlassen hat, war ein später aber wichtiger Erfolg. Hier wird es nun insbesondere darum gehen zu prüfen, ob die Umsetzung in der Praxis funktioniert. Denn Vorschriften zu ändern mag wichtig sein. Finden diese in Beratungsgesprächen, Einstellungstests oder auch auf Formularen schlussendlich keine Anwendung, dann ändert sich wenig.

Wenn es in der nächsten Regierung zu einer Beteiligung der SPD kommt, welche Verbesserungen für queere Menschen stehen an oberster Stelle und sind unverhandelbar?

Neben der Ergänzung des Artikel 3 im Grundgesetz um das Merkmal der sexuellen Identität und einer mehr als überfälligen, die Menschenwürde wahrenden Reform des Transsexuellengesetzes, ist hier vor allem die Änderung des Abstammungsrechts mit Blick auf die sogenannte Mit-Mutterschaft bei lesbischen Paaren zu nennen. Die Weigerungshaltung der Union diskriminiert die Paare, schwächt die Versorgungssicherheit der Kinder und führt dazu, dass am Ende wieder Gerichte den Job der Politik erledigen werden. Damit muss Schluss sein und deshalb gehören CDU und CSU in die Opposition.

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