Ein Interview mit der ehemaligen Bundestagspräsidentin und Gesundheitsministerin Prof. Rita Süssmuth
dd. Anlässlich der Podiumsdiskussion der Kölner Aidshilfe „HIV ist auch weiblich” am 7.12.22 gab die ehemalige Bundestagspräsidentin und Gesundheitsministerin unter Helmut Kohl zu Zeiten des Ausbruchs von Aids in Deutschland, Prof. Rita Süssmuth, dem FRESH-Magazin ein Interview.
Liebe Frau Prof. Süssmuth, ohne Ihren beherzten Einsatz als Gesundheitsministerin beim Ausbruch der Aids-Pandemie in Deutschland hätte die Aids-Politik anders ausgesehen, nicht wahr? Wie war das damals für Sie?
Nicht ich, sondern wir haben es geschafft, einen humanen Umgang mit der Krankheit zu schaffen. Das war damals nicht selbstverständlich. Keiner kann es allein, und es wäre vielleicht schiefgegangen, wären wir nicht eine Bewegung geworden. In unserer Regierung unter Helmut Kohl gab es sogar Stimmen wie von Herrn Gauweiler, die offen über Außenlager nachdachten. Das wäre ein furchtbarer Fehler gewesen.
Ich erinnere mich an die Koalitionsverhandlungen 1987, ich bin dann spät nachts heimgegangen. Es war mein Geburtstag und ich habe noch gedacht‚ den haste dir aber fix anders vorgestellt. Es war wirklich sehr schwierig, weil in der Gesundheitspolitik große Unruhe herrschte. Wir hatten ja kein Medikament, also es war nicht so wie jetzt in der Corona-Pandemie, im Gegenteil, die Krank-heit schlug verheerend aus. Wenn ich an alle die verzweifelten Menschen denke, ohne Medikament – es gab eine so große Angst. Auf der anderen Seite hörte ich nur Fragen, wie: Was war da ausgebrochen? Wie kann man diese komischen Männer, die mit ihrer Sexualität nicht richtig umgegangen sind und die Infektion verbreiten, noch beschützen? Sie glauben gar nicht, wie oft ich damals Stimmen gehört habe, die Kranken müssen jetzt auch mal merken, was sie angestellt haben, das muss bestraft werden. Oh Gott, dachte ich, denn ich hörte die schlimmsten Thesen: Schafft sie weg, haltet sie nicht im Land. Kontrolliert sie, wo ihr nur könnt. Damit wären sie Aussätzige mit all ihrem Leid geworden. Gottseidank ist es mit Überzeugungsarbeit nicht dazu gekommen.
Sie haben mal gesagt, Ihr Ansatz war, die Krankheit zu bekämpfen, und nicht die Menschen. Kam das von Anfang an?
Wir waren umgeben von völlig ablehnende Positionen. Die Aids-Bewegung in den Städten, aber später auch nach und nach auf dem Land, wo Beratungsstellen aufkamen und aufklärten, z.B. auch, dass man erkrankte Menschen ruhig mal drücken konnte, das alles hat Menschen nachdenklich gemacht. Wer behauptet, Menschen sind so wie sie sind, da kann man nichts verändern usw., alles das teile ich nicht. Ich bin überzeugt, es gilt, die Menschen zu gewinnen, wenn wir et-was verändern wollen. Die Erfahrung zeigt mir, Überzeugen ist möglich. Ich habe immer wieder gesagt, setzt auf Aufklärung, die Menschen sind lernfähig. Es gab und gibt keinen wirklichen Gesundheitsschutz, ohne auch mit den Betroffenen zu arbeiten. Damals war viel Hass unterwegs, wie heute leider wieder unterwegs ist. Aber auch damals waren Menschen unterwegs, die ganz anders waren, Menschen die aufklärten, Beratung in den Aidshilfen organisierten und das Kondom, damals noch ein Tabu, als einzigen Schutz jahrelang angeboten haben. Was mir da noch wichtig ist, dass bei der entstandenen Aids-Bewegung auch viele Frauen beteiligt waren, ohne die die solidarische Bewegung nicht so stark geworden wäre. Aids hatte von Anfang an auch ein weibliches Gesicht.
Ein gutes Stichwort, Sie engagieren sich ja immer noch für die Gleichheit der Frauen, zuletzt in dem neuen Projekt #Paritätjetzt. Wie kann man Parität in Politik und Gesellschaft ermöglichen?
Es gab immer schon eine Unterdrückung der Frauen und Ungleichheit in der Gesellschaft. Seit der Weimarer Republik wurden kleine aber grundlegende Fortschritte gemacht. Frauen in der Politik sollten die Regel sein, nicht die Ausnahme. Auch nach 100 Jahren Frauenwahlrecht ist lediglich ein Drittel unserer Parlamentarierinnen und Parlamentarier im Deutschen Bundestag weiblich. Wir kämpfen für Veränderung und eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in der Politik, und da ist noch viel zu tun. Wir sind noch immer nicht da, wo wir sein könnten. Ich sage: In deutschen Parlamenten sitzen zu wenige Frauen. Einen entschiedenen, ersten Ruck gab es, als die Grünen ins Parlament kamen. Die Grünen haben bei ihrer Parteigründung gleich entsprechend unserem Grundgesetz, beschlossen, sie wollen einen Frauenanteil von 50 Prozent in der Führung. Von dieser Vorgabe habe ich viel gelernt. Denn Gleichberechtigung ist keine Frauensache, sondern geht uns alle an. Deswegen engagiere ich mich bei diesem Thema und hoffe auf gemeinsam durchzusetzende Veränderungen.
Sie sprachen vorhin vom wieder aufkommenden Hass in unserer Gesellschaft. Für die Community war es ein Schock, als beim CSD in Münster im Sommer der Transmann Malte C. nach einem queerfeindlichen Angriff starb. Was kann Politik und Gesellschaft tun, um solche Taten zu stoppen?
Der Hass hat mich sehr bestürzt. Wie konnte das geschehen? Wir sind alle Menschen, und wir wagen es, so mit ihnen umzugehen? Das erinnert mich an schlimmste Foltergeschichten, wie die des eigenen Landes im sogenannten 3. Reich, aber wie auch heute aktuell im Iran und anderen Ländern. Ich bin nicht gegen muslimische Länder, aber es gibt immer noch Systeme und andere Kulturen, die sich dazu veranlasst sehen, Menschenrechte brutal zu missachten. Heute kann ich nur appellieren: Passt auf, lasst es nicht soweit kommen. Wir leben zurzeit mit autoritären Länder, den Nicht-Demokraten, wo schnell die alten Sündenböcke die neuen Sündenböcke sind. Denn Hass kann man nur begegnen, wenn die Menschen sich verbünden und eine Mauer gegen den Hass bilden. Sicher brauchen wir dazu auch strenge Gesetze, aber die reichen nicht, dass alleine hält sie nicht davon ab. Doch wenn Menschen sich zusammenschließen und sagen: Nicht mit uns, kann es zu einer Veränderung kommen. Also nicht schweigen, sondern sich in Gemeinschaft mit anderen wehren. Der Erfolg von unserem Team ist durch die Aufklärung ermöglicht worden, die Gesetze waren nur die Konsequenzen. Außerdem bin ich heute natürlich froh, dass wir ein gutes Stück weiter sind, was die Überlebenschance von HIV- und Aids-Betroffenen angeht. Und das an einem Impfstoff geforscht wird, lässt mich hoffen, dass wir den größten Schrecken hinter uns haben.
Wenn Sie ein Fazit ziehen, was war Ihr größter Erfolg? Was können Sie jungen Menschen mitgeben?
Ich kann nur sagen: Bleibt wachsam, agiert zusammen. Ich war bei der Aids-Pandemie nur eine kleine Frau unter viele Männern – aber hatte auch ein großes Team, und mit Überzeugung haben sich viele angeschlossen, human zu agieren. Das war mein größter Erfolg. Wir haben es mit den Menschen geschafft. Keiner schafft es allein.
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