„Wir werden alle laut sein müssen“
Nyke Slawik ist neue „Queerpolitische Sprecherin“ für Bündnis 90/Die Grünen im 21. Deutschen Bundestag. FRESH sprach mit ihr über aktuelle queerpolitische Fragen.
Nyke, Du bist jetzt neue queerpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, wie schlimm wird es für die Umsetzung queerpolitischer Themen und wegen Stimmungsmache gegen die Community in den nächsten Jahren mit der aktuellen Bundesregierung?
Queerpolitisch ist der Koalitionsvertrag ein Armutszeugnis. Die Koalition ignoriert, wie dringend nötig weitere Reformen für mehr rechtliche Gleichstellung queerer Menschen sind. Man sucht vergeblich nach einem Bekenntnis zum Aktionsplan „Queer leben“ oder zum grundgesetzlichen Schutz von queeren Menschen im Art. 3 GG, Regenbogenfamilien werden nicht erwähnt. Die angekündigte Evaluierung des Selbstbestimmungsgesetzes oder die Verschärfung des Namensrechts zeugen eher von einem Misstrauen gegenüber trans*, inter* und non-binären Personen. Gerade deshalb ist es wichtig, dass wir laut bleiben und unsere Forderungen gegenüber der Bundesregierung in den nächsten Jahren stark machen.
Im Koalitionsvertrag steht das Wort queer nur zweimal. Wie kannst Du die Bundesregierung daran erinnern, dass die Gleichstellung queerer Menschen weitergehen muss?
Sichtbarkeit entsteht nicht nur auf dem Papier. Sie entsteht durch Stimmen, durch Haltung, durch gemeinsames Handeln. Deshalb ist klar: Wir werden alle laut sein müssen – im Parlament, auf der Straße, in den Medien, in jeder politischen Debatte. Denn die queere Community und ihre Allies sind stark, wenn sie sich zusammenschließen und ihre Rechte selbstbewusst einfordern. Und genau diese Kraft brauchen wir jetzt – mehr denn je. Ich sehe es als meine Aufgabe, mich auch weiterhin im Bundestag dafür einzusetzen, dass queere Lebensrealitäten nicht übersehen werden – im Familienrecht, im Gesundheitswesen, im Umgang mit trans*, inter* und nicht-binären Menschen, im Schutz vor Gewalt und Diskriminierung. Dafür suche ich auch immer wieder das Gespräch mit Abgeordneten aus den demokratischen Fraktionen. Denn es gibt sie: starke Stimmen für queere Rechte quer durch den Bundestag. Diese Verbündeten gilt es zu stärken – damit Gleichstellung kein grünes Nischenthema bleibt, sondern ein gesamtgesellschaftliches Ziel wird.
Das Selbstbestimmungsgesetz soll novelliert werden. Was befürchtest Du, wird da passieren, und wie können die Grünen es verhindern bzw. beeinflussen?
Das Selbstbestimmungsgesetz war einer der großen Erfolge der Ampel-Regierung und war von Tag eins eine echte Entlastung für tin* Personen, die nun einfach vor dem Standesamt erklären können, wer sie sind. Die schwarz-rote Koalition hat sich vorgenommen, dieses Gesetz zu evaluieren. Im Koalitionsvertrag verpflichtet sie sich dabei darauf, die „Rechte von trans- und intersexuellen Personen“ zu wahren. Ich sage: eine „Evaluation“ des Gesetzes muss die Rechte von tin* Personen schützen und stärken und darf sie auf keinen Fall rückabwickeln. Wir Grüne werden diesen Prozess aufmerksam und kritisch verfolgen. Es braucht hier aber auch zivilgesellschaftlichen Druck auf die Bundesregierung, um zu zeigen, welchen positiven Effekt das Gesetz auf tin* Personen hat, und der für den Erhalt des Rechts auf Selbstbestimmung kämpft.
Forderungen nach Änderung von Artikel 3 im Grundgesetz sind in weite Ferne gerückt. Wie realistisch ist die Weiterführung des Aktionsplans „Queer leben” und die Verstetigung des Amts des Queerbeauftragten der Bundesregierung?
Die Neubesetzung des Amts des*der Queerbeauftragten hätte eigentlich eine reine Formalie sein müssen. Dass darüber überhaupt verhandelt werden muss, ist schon skandalös. Auch dass wir weiter zittern müssen, ob der Aktionsplan „Queer leben“ ausgeweitet, fortgesetzt oder abgeschafft wird, ist bitter. Die Union sollte für sich schleunigst klären, ob sie sich eigentlich weiter als Volkspartei sieht, denn dann sollte es selbstverständlich sein, den von uns begonnenen Weg in der Queerpolitik weiterzugehen und sich auch endlich um die Ergänzung des Grundgesetzes um den Diskriminierungsschutz von LSBTIQ zu kümmern. Oder ob die Union sich inhaltlich weiter der AfD annähern will. Ich kann sie nur davor warnen und einladen, weiter mit uns Demokrat*innen zu kooperieren. Alle demokratischen Fraktionen, mit Ausnahme der Union, sind sich doch mittlerweile einig, dass der Schutz queerer Menschen endlich ins Grundgesetz aufgenommen werden muss. Hier sollte sich die Union endlich bewegen und im 21. Jahrhundert ankommen.
In Deiner Funktion als Politikerin bist Du auch ein Vorbild für Menschen, die ähnliches erlebt haben wie Du. Was möchtest Du queeren Jugendlichen mit auf den Weg geben, damit sie weiter für ihre Rechte kämpfen?
Du darfst Raum einnehmen! Es kann sehr schmerzhaft sein, wenn man als queerer Mensch von der Familie oder von Freund*innen nicht akzeptiert wird, in der Schule von Mobbing betroffen ist oder sich einfach noch unsicher fühlt. Mein Rat ist: Such dir Räume und Menschen, bei denen du du selbst sein darfst und wo du um Hilfe bitten kannst. Dafür gibt es viele Angebote und viel Unterstützung in der Community.
Als trans* Frau, als queerer Mensch weiß ich, wie existenziell es ist, als Jugendliche*r einen Ort zu finden, an dem man einfach sein kann – wo niemand infrage stellt, wer du bist oder wen du liebst. Wo Sich-Verstecken, Erklären und das Aushalten von Ignoranz für einen Moment Pause haben. Für mich war dieser Ort das queere Jugendzentrum anyway in Köln. Solche Räume und Begegnungen empowern uns und bestätigen uns darin, weiter für unsere Rechte einzustehen. Denn gemeinsam sind wir stark.
