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„Ich bin zuversichtlich“

Sophie Koch

dd. Die neue Queerbeauftragte der Bundesregierung heißt Sophie Koch (Foto). Als Beauftragte für Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt ist sie die Nachfolgerin von Sven Lehmann (Grüne). Sophie ist SPD-Landtagsabgeordnete aus Sachsen und war Ende Mai vom Bundeskabinett berufen worden. Ihr Amt ist angegliedert an das von Ministerin Karin Prien (CDU) geführte Bildungs- und Familienministerium. Sie gab FRESH ein aktuelles Interview über ihre Pläne und die aktuelle politische Lage für queere Menschen in Deutschland.

Liebe Sophie, du hast gesagt, das du kein Feigenblatt sein willst und Dich für die, unter der Ampelregierung nicht mehr realisierten Projekte, einsetzen wirst. Welche Projekte sind es denn, die Du angehen möchtest?

Zunächst möchte ich vor allem in meinem neuen Amt ankommen. Dazu gehört für mich, mit Verbänden und Initiativen zu sprechen, damit wir ein Gefühl füreinander bekommen. Mindestens genauso wichtig ist mir allerdings, die Ministerinen und Minister kennenzulernen. Für meine Arbeit in den nächsten Jahren ist es unerlässlich, eine gute und vertrauensvolle Beziehung zu meinen Kolleginnen und Kollegen zu entwickeln. Denn die Arbeit für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt funktioniert nur miteinander.
Nach konkreten Vorhaben gefragt, kann ich mich nur wiederholen: Ich halte es für unerlässlich, dass wir endlich diese historische Schutzlücke in Artikel 3 Grundgesetz schließen. Queere Menschen wurden als eine von ganz wenigen Opfergruppen nach dem Nationalsozialismus nicht explizit geschützt, weil sie weiter als widernatürlich galten. Sie wurden bis in die neunziger Jahre mit dem § 175 staatlich verfolgt. Die Zeit ist also reif, dieses Kapitel abzuschließen und die Rechte auch von queeren Menschen endlich im Grundgesetz zu schützen. Daneben ist mir wichtig, das Abstammungsrecht so anzupassen, dass alle Kinder von Anfang an zwei Eltern haben. Wenn ein Kind in die Ehe von zwei Frauen oder trans Personen geboren wird, dann hat es dieses Recht aktuell nicht. Und wenn beispielsweise der einen Mutter etwas zustößt, dann ist das Kind rechtlich gesehen Vollwaise. Ich blicke in dieser Frage gespannt nach Karlsruhe, wo wahrscheinlich noch in diesem Jahr ein Urteil zu dieser Diskriminierung gefällt wird.

Das wird sicher nicht einfach dafür Mehrheiten zu finden. Du sprichst ja von großen Herausforderungen und das du Menschen an einen Tisch holen und mit aller Kraft versuchen wirst, Brücken für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt zu bauen. Wie bewertest du die Chancen dafür mit der CDU als Koalitionspartner? Gibt es da überhaupt Spielraum?

Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts muss umgesetzt werden. Da bin ich also optimistisch. Aber klar, die größere Frage stellen sich natürlich im Moment viele Menschen: Was wird aus dem in der letzten Wahlperiode gestarteten queerpolitischen Aufbruch? Ich möchte ganz ehrlich sein. Wir haben eine neue Regierung unter neuen Vorzeichen. Die Dinge laufen naturgemäß anders als in der letzten Wahlperiode. Queerpolitische Vorhaben werden einen anderen Stellenwert haben. Und wir werden sicher sehr viel weniger über laufende Verhandlungen oder Prozesse in der Öffentlichkeit sprechen. Also ja, es wird anders. Das einmal explizit zu betonen ist mir auch wichtig. Gleichzeitig gibt es bis heute rechtliche Benachteiligung queerer Menschen. Das Abstammungsrecht ist dafür ein Beispiel. Solche Benachteiligungen zu erkennen und abzuschaffen, ist natürlich auch für die neue Bundesregierung wichtig. Meine ersten Gespräche dazu liefen gut und vertrauensvoll. Ich bin also zuversichtlich.

Erschreckend ist, das das Wort queer ja im Koalitionsvertrag nur zweimal vorkommt. Wie starkt bekommst du den Rückenwind von „deiner”
Ministerin Karin Prien (CDU)? Genau sie hat gerade vom „Schluss machen mit den woken Kram” gesprochen. Wie beurteilst du das?

Ja, und sie hat gerade öffentlich deutlich gemacht, dass sie Gewalt gegen trans Frauen verurteilt. Karin Prien und ich hatten erste, gute Gespräche. Ich erlebe sie als kluge Kollegin, die sich ernsthafte Gedanken zu unserer Gesellschaft macht. Es ist ihr wichtig, das Verbindende zu suchen und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit entgegenzuwirken. Diesem Ansatz kann ich sehr viel abgewinnen: Queere Menschen stehen weltweit unter Druck. Ihre Rechte werden eingeschränkt, sie werden angegriffen. Verbal und zunehmend auch körperlich. Aber für die Feinde unserer liberalen Demokratie, ist das nur ein Bestandteil der Strategie. Auch andere Personengruppen werden verbal und körperlich angegriffen, bis irgendwann die Institutionen des Rechtsstaats an sich zur Debatte stehen. Um das also deutlich zu sagen: Wenn queere Menschen zum Ziel von Desinformationskampagnen werden, dann sind damit eigentlich wir als Gesellschaft und unsere liberale Demokratie insgesamt gemeint. Queere Menschen stehen nicht allein unter Druck, aber es stehen eben auch nicht nur queere Menschen unter Druck. Wenn wir also unsere Gesellschaft als solche schützen und stärken wollen, dann geht das nur gemeinsam. Dann müssen wir alle Vorurteile gegen andere Gruppen abbauen und uns wieder verstärkt aufeinander zubewegen. Ich persönlich war auch nicht immer die größte Freundin der CDU, damit verrate ich kein Geheimnis. Aber es war und ist mir immer wichtig, im direkten Gespräch den Menschen aufgeschlossen und respektvoll zu begegnen, mit denen ich spreche. Ich möchte die Menschen sehen, mit denen ich mich unterhalten. Deshalb kann ich mich nur wiederholen: Ich erlebe Karin Prien als kluge und verbindliche Kollegin und bin mir sicher, so werde ich auch einige weitere Kolleginnen und Kollegen von der Union kennenlernen. Und dass wir manchmal verbal ein wenig über das Ziel hinausschießen, sei dahingestellt. Am Ende sind wir alle nur Menschen.

Wir haben es zuletzt erlebt, als der Begriff Geschlechtsidentität auf Druck der Union aus dem Gewalthilfegesetz gestrichen wurde. Viele haben auch Sorge, das das Selbstbestimmungsgesetzes (SBGG) abgeändert wird. Was ist an Rückschritten zu befürchten?

Dazu kann und möchte ich keine Prognose abgeben. Im Koalitionsvertrag haben wir uns auf eine Teilevaluierung bis zum nächsten Jahr geeinigt. Die umfassende, gesetzlich verankerte Evaluierung wird bis 2029 folgen. Da möchte ich nicht vorgreifen.

Du setzt dich u.a. für die Aufnahme der Rechte queerer Menschen im Artikel 3 des Grundgesetzes stark ein, weil man in Ländern in Ländern wie den USA sehen kann, wie schnell unsere Rechte auch wieder eingeschränkt werden können. Die CDU war in großen Teilen, insbesondere Bundeskanzler Friedrich Merz, gegen die Änderung des Grundgesetztes. Wie kann man das trotzdem erreichen?

Wie gesagt, für mich ist die Zeit reif, diese historische Schutzlücke zu schließen. Dafür nehme ich auch aus der Union viel Zuspruch wahr – egal, ob in der Breite der Partei oder von Ministerpräsidenten. Ich werde deshalb in den nächsten Monaten sehr viele Gespräche führen und sehen, ob wir in dieser Sache weiterkommen. Ob diese Bemühungen am Ende erfolgreich sind, hängt wie alles in der Politik stark vom Momentum ab: Die letzte Bundesregierung ist mit großen Plänen angetreten. Dann kam der großflächige Angriffskrieg gegen die Ukraine und hat viele, auch innenpolitische Pläne über den Haufen geworfen. Andererseits haben wir 2017 eine Dynamik erlebt, die nach jahrzehntelangen gesellschaftlichen Debatten ganz plötzlich auch die rechtliche Eheöffnung möglich gemacht hat. Also mal sehen, wie sich das in den kommenden Jahren entwickelt.

Die Grünen im Bundestag befürchten, das Du zum Feigenblatt für eine inhaltlich blanke Koalition werden könntest, und das das Amt der Queerbeauftragten keinen Nebenjob darstellen sollte, es brauche volle Aufmerksamkeit in einer bundespolitischen Verankerung und solllte keine halbe Sache sein. Was antwortest du ihnen darauf?

Ich höre das immer wieder. Aber ehrlich gesagt kann ich das nur so halb nachvollziehen: Auch Sven Lehmann war schließlich nebenbei Bundestagsabgeordneter, Staatssekretär, und hat noch einen Wahlkreis betreut. Ob man seine Arbeit gut macht oder nicht, hängt also nicht zwangsläufig davon ab, wie viel Zeit man an einem Ort verbringt. Es hängt viel mehr davon ab, ob man politisch etwas erreicht. Ob die Gespräche, die ich führe, dazu beitragen, dass queere Menschen in diesem Land weniger rechtliche Benachteiligung erleben und wir als Gesellschaft wieder ein Stück zusammenwachsen. Für mich ist entscheidender, ob man am Ende sagt, dass ich in diesem Amt einen Unterschied gemacht habe. Das werden die Menschen in Zukunft beurteilen müssen.

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