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Georgine Kellermann: “Ein Gesetz ändert keine Gesellschaft”

Georgine Kellermann im WDR-Studio Essen

Georgine Kellermann, Studio-Leiterin des WDR Studios in Essen, im FRESH-Interview

dd. Georgine Kellermann ist ein Musterbeispiel dafür, wie schnell und unerwartet Frau in Deutschland zur Aktivistin werden kann. Drei Jahre nach ihrem Coming-out gehört die 65-jährige WDR-Studioleiterin des WDR-Studios in Essen zu den wichtigsten trans Stimmen in Deutschland. FRESH sprach mit ihr über ihr spätes Coming-out, ihren entspannten Umgang mit Hass und Hetze und dem angekündigten Selbstbestimmungsgesetz.

Liebe Frau Kellermann, Sie haben sich kurz vor der Corona-Pandemie und einer Reise nach San Francisco geoutet. Der transfeindliche Mob hat sich daraufhin hemmungslos auf Ihrer Twitter-Seite ausgetobt. War das nicht schlimm für Sie? War im Gegenzug der positive Zuspruch für Sie ausreichend?

Ich nenne es nicht „outing“. Micky Beisenherz hat es im „Kölner Treff“ „Offenbarung“ genannt. Das gefällt mir viel besser, und seitdem bleibe ich dabei. Ich habe mich auf dem Weg nach San Francisco offenbart, als ich auf dem Düsseldorfer Hauptbahnhof auf eine Kollegin traf, die mich sehr freundlich fragte, ob ich „verkleidet“ sei und die wunderbar reagierte, als ich ihr die Wahrheit sagte. Ich war damals erleichtert. Ich glaube, ich wollte „erwischt“ werden.

Nachdem die Aktuelle Stunde im WDR Fernsehen im Dezember 2019 über mich berichtet hatte, gab es zunächst einen „Candy Strom“. So viel positiver Zuspruch. Von allen Seiten. Ich glaube, das lag auch daran, dass ich noch unter dem Radar der trans ablehnenden Menschen unterwegs war.

Es änderte sich, als Grüne und FDP im Mai 2022 die Reform des Transsexuellengesetzes im Bundestag konkret angehen wollten. Beide mit eigenen Reformvorschlägen. Die SPD hatte es tatsächlich fertig gebracht, sich dieser Reform zu verschließen. Führende Sozialdemokraten machten damals die Koalitionsdisziplin dafür verantwortlich. Ich habe selten eine lahmere Ausrede gehört. Das enttäuscht schon sehr. Damals habe ich begonnen, auf Twitter die Zögerer und vor allem die Vorsitzende der SPD, Saskia Esken, darauf hinzuweisen, wie feige ich das Verhalten der SPD empfunden habe. Nicht nur mir ging es so.
Und auch heute duckt sich die SPD weg, wenn es um die Reform des Transsexuellengesetzes geht. Viel haben die Sozialdemokraten in den letzten Wochen nicht dazu gesagt. Da würde ich mir mehr „Koalitionsdisziplin“ wünschen. Sarkasmus aus!

Der „Mob“ fühlt sich durch die oft unsachliche Kritik auch aus der Politik bestätigt. Die Hasskommentare haben schon sehr zugenommen. Allerdings gibt es viel mehr „Allies“. Die schreien nicht so laut, wie die Hater*innen. Aber sie sind viel mehr. Das tut gut.

Der CSD-Verein des Hamburg Pride verlieh Ihnen den Pride Award 2021. Haben Sie mit einer solchen Auszeichnung gerechnet? Sehen Sie sich als Vorbildcharakter für die LGBTI-Community und die Gesellschaft in Deutschland?

Über den Pride Award habe ich mich sehr gefreut. Damit gerechnet hatte ich nicht. Aber der Abend der Verleihung in Hamburg wird mir immer in Erinnerung bleiben. Ob ich ein Rolemodell für die Queere Community bin, weiß ich nicht. Ich höre es öfter. Bekomme auch viele Nachrichten von Menschen. Sie schreiben, dass ich ihnen Mut mache. Manche wollen ihre eigene „Offenbarung“ jetzt angehen, weil sie die Hoffnung haben, dass sie ein selbstbestimmtes Leben leben können. Das wünsche ich ihnen sehr, weil ich weiß, wie befreit und glücklich meine Offenbarung mich gemacht hat.

Von Verbitterung findet man bei Ihnen, die sich vier lange Jahrzehnte vor der Öffentlichkeit versteckte, garnichts. Aber warum kam das Outing nicht eher?

Als das Transsexuellengesetz 1981 verabschiedet wurde, habe ich das als ein Geschenk verstanden. Aber ein Gesetz ändert keine Gesellschaft. Das braucht Zeit. Noch vor zehn Jahren hätte ich nicht für möglich gehalten, was heute möglich ist. Der Regenbogen ist zu einem weltweiten Symbol geworden. Nicht nur für die Demonstration, sondern auch für die Akzeptanz queerer Lebensentwürfe. Mich begeistern vor allem die vielen jungen Menschen, die antiquierte, gesellschaftliche Konventionen gar nicht erst annehmen. Das macht Mut. So, wie Homosexualität heute kein Thema mehr ist, wird auch trans in einigen Jahren kein Thema mehr sein. Da bin ich mir absolut sicher. Allen trans Hasser*innen zum Trotz.

Die Akzeptanz transgeschlechtlichen Menschen gegenüber wächst, aber was muss noch geschehen? Wo sind Sie selber politsch aktiv?

Zunächst brauchen wir jetzt wirklich ein Selbstbestimmungsgesetz, das seinen Namen auch verdient. Dass es sich hinzieht, verstehe ich. Das Thema ist sehr komplex, und es ist wichtig, dass das Gesetz gut überlegt ist. Wenngleich ich schon ungeduldig bin. Und mit mir viele Menschen, die es dringend brauchen. Für mich ist es nicht mehr wichtig. Ich habe meinen Personenstand geändert. Georg gibt es nicht mehr. Eigentlich hat es ihn nie gegeben. Mir geht es um die vielen tausend Menschen in Deutschland, die händeringend auf das Selbstbestimmungsgesetz warten. Die haben oft nicht das Geld, um den Gutachterprozess zu finanzieren, der immer noch für eine Personenstandsänderung notwendig ist. Und sie wollen die oft widerlichen Fragen nicht beantworten, die von manchem Gutachter gestellt werden.

Ich engagiere mich in keiner Partei, weil mir journalistische Unabhängigkeit wichtig ist. Aber ich fühle mich da wohl, wo die Interessen von trans Menschen ernst genommen werden.

Die Ampel-Koalition kündigte eine Reform des Transsexuellengesetzes an. Wird das neue Gesetz endlich ein echtes Selbstbestimmungsrecht für trans Menschen oder sehen Sie die Gesetzesvorlage kritisch?

Ich freue mich, wenn das Gesetz endlich da ist. Gesetze können es nie allen recht machen. Aber ich glaube, dass es den Verantwortlichen in der Bundesregierung sehr ernst damit ist, den Betroffenen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Da baue ich sehr auf Lisa Paus und Marco Buschmann. Im Grunde genommen setzen die beiden nur um, was große Teile der Gesellschaft längst leben.

Es gibt ja eine Strömung innerhalb des Feminismus, in der u.a. Sachen gesagt werden wie: “Du bist ein Mann im Frauenkleid und du willst das nur, um in weibliche Schutzräume einzudringen und dort Frauen zu belästigen”. Stichwort Alice Schwarzer… . Wie lässt es sich hier am Besten gegensteuern?

Puuh! Was sagt trans Frau da? Oder trans Mann? Die gibt es ja auch noch. Die Lügen, die da erfunden werden, sind wirklich ziemlich abstrus. Und es sind immer dieselben, die diesen hanebüchenen Unsinn vor sich hertragen. Der Leidensweg vieler Transgender ist offensichtlich. Manche versuchen, ihrem Leben ein Ende zu machen, weil sie einfach nicht mehr können. Einige sind schon dabei umgekommen. Glaubt wirklich jemand allen Ernstes, dass Menschen diesen Leidensweg gehen, damit sie in einer „Frauensauna“ Besucherinnen belästigen können? Das ist so weit hergeholt, dass es zum Lachen wäre, wenn es nicht so bitterernst wäre.

Zum Schluss noch die Frage, kennen Sie den Ruhr CSD Essen auf dem Kennedyplatz? Dürfen wir Sie am Samstag, den 5.8.2023, einmal beim RUHR CSD Essen begrüßen?

Mit meiner „Offenbarung“ kam Corona. Ich hatte noch keine Möglichkeit, den Ruhr CSD Essen kennenzulernen. Deshalb freue ich mich darauf, in diesem Jahr die Gelegenheit dafür zu bekommen.

5 Comments

5 Comments

  1. Robin Holtz

    26. Januar 2023 at 20:47

    Natürlich schafft Kellermann es nicht, konsequent zu gendern. Natürlich verallgemeinert Kellermann sämtliche Kritik als Hass. Natürlich steckt in Kellermanns Antworten wieder einmal eine gehörige Prise Narzissmus.

    • Peter Baruschke

      24. April 2023 at 21:37

      Was für ein ignoranter Kommentar!

  2. Eva Lüdecke

    27. Januar 2023 at 05:52

    Was ein schönes Interview und was für eine tolle Frau, und meinen größten Respekt für die tolle Figur!

    Eva Lüdecke

  3. Corinna Hildegard Wachalovsky

    23. April 2023 at 19:57

    Während ich vieles unterstreiche, was Frau Kellermann sagt, ist ihre Annahme, daß in einigen Jahren transSein als “normal” angesehen wird, als zu optimistisch. Die Akzeptanz mag in einigen Jahrzehnten stattfinden, aber es gibt ganz einfach zu wenige transPersonen, die noch dazu im allgemeinen nichts mehr wünschen als nicht aufzufallen, um hier einen schnellen Meinungswandel durchzuführen, vor allem vor dem Hintergrund der Verteufelung ihrer Identität seitens der rechten und rechtsradikalen Politik, die eben dieses Feindbild gefunden haben, an dem sie gemütlich ihr eigenes Süppchen kochen können.

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