Der Bundesvorsitzende der Grünen, Felix Banaszak im FRESH-Interview
dd. Felix Banaszak ist Bundesvorsitzender der Grünen und kommt aus Duisburg. Er war von 2018 bis 2022 Landesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen in NRW und gehört seit 2021 als Abgeordneter dem Deutschen Bundestag an. Erst kürzlich machte er seine Bisexualität öffentlich. FRESH sprach mit ihm über queere Politik.
Herr Banaszak, sehen Sie angesichts von Übergriffen gegen queere Menschen die gesellschaftliche Vielfalt bedroht? Wo muss am dringendsten gegengesteuert werden?
Wenn queere Menschen auf offener Straße angegriffen oder ausgegrenzt werden, ist das nicht nur ein schmerzhaftes persönliches Schicksal – es ist auch ein Warnsignal für unsere Demokratie. Denn wo Vielfalt angegriffen wird, gerät auch der gesellschaftliche Zusammenhalt ins Wanken.
Queeres Leben braucht Solidarität und Sichtbarkeit, darum setzen wir uns dafür ein, dass CSDs durch sensible Schutzkonzepte geschützt werden und dass es eine bundesweite Meldestelle für queerfeindliche Straftaten gibt, um queerfeindliche Hasskriminalität besser zu erfassen. Auch sollten LSBTIQ*-Rechte endlich im Grundgesetz verankert werden und der Aktionsplan „Queer leben“ umfassend durch die neue Bundesregierung weitergeführt werden.
Was es hingegen nicht braucht: Politikerinnen, die glauben, mit dem Verbot einer Regenbogenflagge im Bundestag ein Zeichen der Neutralität zu setzen. Julia Klöckner sendet damit kein Zeichen der Objektivität, sondern eines der Ignoranz. Wer Vielfalt marginalisiert, anstatt sie zu schützen, hat unsere Zeit nicht verstanden. Queeres Leben ist Teil unserer Gesellschaft – sichtbar, verletzlich und schützenswert. Es verdient Respekt, Solidarität und politischen Rückhalt. Und genau dafür setzen wir uns ein.
Wo sehen Sie die kommenden queerpolitischen Herausforderungen auf Bundesebene? Wenn es mit Rot-Grün-Gelb nicht geklappt hat, den Artikel 3 zu ergänzen, wie soll das jetzt eine Mehrheit finden?
Die queerpolitischen Fortschritte der Ampel-Koalition, etwa das Selbstbestimmungsgesetz oder ein verbesserter Schutz gegen Hasskriminalität, waren wichtige Schritte. Der Koalitionsvertrag von SPD und Union zeugt hingegen von Misstrauen gegen trans*, inter* und nicht-binären Menschen sowie von leeren Lippenbekundungen. Es reicht nicht, dass die Bundesregierung sich zwar zu queeren Menschen bekennt, aber keine Taten folgen lässt. Eine Verankerung von LSBTIQ*-Rechten in Artikel 3 ist dann möglich, wenn alle demokratischen Parteien sich gemeinsam dafür einsetzen. Dass der Bundesrat sich jetzt mit diesem Thema befasst, ist ein Anstoß, den die Bundesregierung aufgreifen sollte. Solche Grundrechtsgarantien sind kein „Luxus“, sondern Kernstück einer offenen, demokratischen Gesellschaft.
Auf NRW-Landesebene regieren die Grünen ja mit der CDU, und es kam 2025 zu finanziellen Kürzungen im Bereich Aids-Prävention und CSD-Unterstützung. Können Sie diese Politik mittragen?
Die finanzielle Situation des Haushalts in NRW ist schon seit Jahren stark angespannt. Trotzdem haben die Grünen es im vergangenen Jahr geschafft, wesentliche Verbesserungen gegenüber dem ursprünglichen Entwurf des Haushalts 2025 zu erreichen. So konnten, auf grünen Druck hin, 1,2 Millionen Euro von den vorgesehenen Kürzungen von 1,6 Millionen Euro zurückgenommen werden. Trotz der schwierigen Finanzlage ist es der grünen Fraktion im Landtag außerdem gelungen, die finanzielle Förderung für die CSDs in NRW zu erhalten. Die gesellschaftliche Polarisierung, die wir bundesweit und international erleben, spüren wir auch in NRW. Gerade deshalb ist es wichtig, dass wir Grüne uns auf allen Ebenen für die Rechte und den Schutz von LSBTIQ*-Personen einsetzen. Dafür setzt sich die grüne Fraktion in NRW ein und dafür setze ich mich als Parteivorsitzender und zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen im Bundestag ein.
Menschen, die aus bestimmten Ländern zu uns kommen, haben oft ein Problem mit Homosexualität. Wie erklären Sie sich hierzu die erhöhte Anzahl queerer Menschen, die AfD wählen, wie die Internetplattform Planet Romeo herausgefunden haben will? Könnte die möglicherweise erhöhte Gewalt gegen Schwule durch Migranten ein Grund sein?
Solche Aussagen greifen oft zu kurz, noch dazu, wenn sie auf nicht repräsentativen Umfragen beruhen: Die Wahlentscheidung hängt nicht allein mit Identitätsfragen zusammen, sondern auch mit Gefühlen von Sicherheitsdefizit, wirtschaftlicher Unsicherheit oder politischem Frust. Natürlich können Ängste und Diskriminierungserfahrungen — etwa Gewalt oder Ausgrenzung — Menschen in die Arme populistischer Parteien treiben, wenn sie sich nicht gehört oder gesehen fühlen. Es ist aber wichtig, dass wir uns nicht von rechten Narrativen manipulieren lassen, die versuchen, queere Menschen gegen andere marginalisierte Gruppen auszuspielen. Linke und progressive Kräfte müssen sich einmischen, um komplexe Probleme und Betroffenheiten zu lösen. Mein Ansatz ist eine Politik der Ehrlichkeit und Empathie, ohne rassistische oder islamfeindliche Narrative zu schüren. Migration bereichert unser Land, unsere Kultur, unsere Gesellschaft, und wir brauchen sie auch, wenn wir unseren Wohlstand erhalten wollen. Aber mit der Vielfalt gehen neue Konflikte einher: Es gibt beispielsweise Menschen in Berlin-Moabit, die Grüne oder Linke wählen, aber ihr Kind nicht an der Grundschule um die Ecke anmelden wollen. Dort wird nämlich ein schwuler Lehrer von Schülern gemobbt, die sagen: „Hier ist der Islam Chef“. Mit so etwas müssen sich auch progressive Kräfte auseinandersetzen. Es muss möglich sein, angstfrei und offen schwul oder lesbisch zu leben, ohne von homophoben Rechtsextremen oder Islamisten bedroht zu werden. Gleichzeitig müssen wir Sorge tragen, dass wir nicht in populistischen Wahnsinn verfallen. In so eine Richtung steuern wir, wenn Deutschland jetzt wieder Frauen und Kinder auf Schleuserboote zwingt, weil Union und SPD glauben, den Familiennachzug einschränken zu müssen. Einwanderungsgesellschaft heißt ehrliche Arbeit, aber die lohnt sich.
Als offen bisexueller Politiker sind Sie auch ein Vorbild für Menschen, die ähnlich fühlen wie Sie. Was möchten Sie queeren Jugendlichen mit auf den Weg geben, damit sie weiter für ihre Rechte kämpfen?
Zunächst einmal: Ihr seid genau richtig, so wie ihr seid. Und es ist auch ok, noch nicht genau zu wissen, wer man ist, die Reise ist lang. Der wunderbare Rio Reiser singt: “Ich will ich sein, anders kann ich nicht sein”. Ich wünsche euch den Mut und die Möglichkeit, ihr selbst sein zu können. Und ich wünsche euch Menschen an eurer Seite, die solidarisch sind, die euch Halt und wenn nötig auch eine Stimme geben. Nutzt eure Stimmen, ob in der Schule, in der Community, politisch – auch wenn es manchmal unbequem ist.
