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Tabuthema Sexsucht

Tabuthema Sexsucht: Wie erkennt man die Symptome, wie geht man damit um?

cs. Felix ist mal wieder seit Stunden unterwegs. Auf seinem Laptop schimmert es blau, ab und an ertönt das bekannte „Quack Quack!“ aus den Lautsprechern. Eine neue Nachricht, eine neue Chance auf ein schnelles Date. Der 29-jährige Dortmunder sitzt jeden Abend vor dem Computer, sein Profil lässt er eigentlich immer online, auch tagsüber, wenn er auf der Arbeit ist. Das erhöht die Chancen, bereits bei der Heimkehr die ersten Mails checken zu können. Sein Profilstatus: Sex. Das ist es, was er sucht. Nichts anderes. Wie oft er erfolgreich ist? „Das ist sehr unterschiedlich. Das hängt vom Wetter ab, ob grad CSD ist oder Fußballweltmeisterschaft, und natürlich von der Uhrzeit oder ob es gerade ein Wochenende ist oder auch noch Vollmond“, erklärt der Datingprofi grinsend, der in seinem Profiltext eindeutig stehen hat: „Ich bin sexsüchtig!“ Ist es Sexsucht oder Internetsucht? „Sexsucht“, stellt Felix klar. „Wenn ich keinen F*** im Web finde, fahre ich oft noch raus zum Cruisen, ab zum nächsten Autobahnrastplatz. Oder in die Saunen oder Cruisingbars.“ Vier bis fünf Dates pro Woche sind sein oft erreichtes Ziel. Wenn das nicht klappt, ist er mit sich selbst sehr unzufrieden. Er habe halt alles zu bieten, “…was man zum guten Cruisen so braucht”, so der junge “Lüstling”, ohne näher darauf einzugehen, was er da genau meint.

Sexsüchtig zu sein, das klingt für manche erst einmal gar nicht so negativ. Im Gegenteil, es wird verbunden mit Potenz und großer Geilheit. Wer so viel Sex braucht, der ist bestimmt auch eine Granate im Bett. Sexhungrige Frauen kennen wir als Nymphomaninnen, die Männer sind Don Juans. Doch wer wirklich damit zu tun hat, für den wird die vermeintliche Lust zur schieren Last. Buchautor Patrick Carnes („Sexualität und Sucht“) definiert das Phänomen etwas genauer: „Nur ein außer Kontrolle geratenes Verhalten, das einhergeht mit den klassischen Anzeichen für Sucht – Besessenheit, Machtlosigkeit und die Benutzung von Sex als Schmerzmittel – weisen auf sexuelle Sucht hin.“ In der Medizin wird es als Hypersexualität bezeichnet.

Das Verlangen zeigt sich zum Beispiel in unkontrolliertem Genuss von sexuellen Stimulanzien wie Pornografie, Telefonsex oder übermäßiger Masturbation oder übermäßigen Sexualkontakten.
Schwer „Sexsüchtige“ streben mehrmals täglich Orgasmen an, ohne dabei aber tatsächlich Befriedigung zu erlangen. Dies alles kann so weit gehen, dass Familie, Beruf und soziale Kontakte, die nichts mit Sex zu tun haben, vernachlässigt werden. Doch woran erkennt man „übermäßigen“ Sex?

Wenn ein 18-Jähriger sich mehr-mals täglich einen runterholt, ist das eher ein Zeichen seiner jugendlichen überschäumenden Libido. Verhält sich ein 50-Jähriger so, stimmt etwas nicht. Ob man selber in so einer Suchtfalle gefangen ist, lässt sich mit der Frage klären, ob es überhaupt noch Spaß macht, was man da anstellt. Für den Dortmunder Daniel, den FRESH auf Gayromeo sprechen konnte, verschwindet nach dem Abspritzen eigentlich nur Eines: Die innere Unruhe. Am nächsten Tag ist sie wieder da. „Meine Arbeit vernachlässige ich aber nicht, so schlimm ist es bei mir auch nicht!“ beteuert er.
Der Münchner Diplom-Psychologe Gerd Mischke ist davon überzeugt, dass schwule Männer besonders häufig mit Symptomen der Sexsucht zu kämpfen haben. Das läge unter anderem daran, dass die „Verfügbarkeit der Droge“ höher sei. Sexpartys, Cruisingbars, Parks und das Internet: Es ist einfach, sich den Kick zu verschaffen. Zudem gehen Männer lockerer mit dem unverbindlichen Quickie um. Heteromänner schauen da oft neidisch rüber, für die schnelle Nummer müssen sie in der Regel viel Zeit oder Geld investieren. Der Psychologe nennt aber weitere Gründe: „Der Sex ist eine Ersatzbefriedigung für andere Bedürfnisse, die nicht ausgelebt werden können.“
Sexsucht ist nicht so weit verbreitet wie Alkoholsucht, aber behandelt wird es ähnlich. Gerd Mischke: „Man schaut nach den Ursachen, wie ist sie entstanden? Was sind Defizite, die man damit auszugleichen versucht, welche anderen Bedürfnisse kommen zu kurz. Hat jemand Kontaktängste oder bezieht er sein Selbstbewusstsein nur durch seine Abschleppprate?

Man kann auch ein Verhaltenstraining machen, um seinen Trieb unter Kontrolle zu bekommen. Dieses Training sieht dann zum Beispiel ein Sexverbot vor. Man tauscht mit dem Partner zwar Zärtlichkeiten aus, aber geht nicht bis zum Äußersten. Wichtig ist es, wieder zu lernen, wie genussvoller Sex geht, der nicht einfach nur runtergeschlungen und konsumiert wird. Sex, bei dem sich die Personen aufeinander beziehen, gibt einem den wahren Kick. Das braucht aber alles eine professionelle Begleitung. Daniel will, so kündigt er an, auf jeden Fall bald mal beim Dortmunder Gesundheitsprojekt „Pudelwohl“ anrufen und nachfragen, wer ihm weiterhelfen könnte.

Anlaufstellen im Internet:
Zentrum für sexuelle Gesundheit und Medizin, www.wir-ruhr.de
Rosa Strippe Bochum:
www.rosastrippe.de
Queere Selbsthilfegruppen für
Suchterkrankungen: www.shalk.de

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