dd. Dr. Joachim Stamp (52, FDP) war stellvertretender Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen und Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration in der letzten NRW-Regierung. Zu seinem Bereich gehört auch das Thema LSBTI. FRESH sprach mit ihm u.a. über seine Arbeitsbilanz und den Koalitionsvertrag der neuen schwarz-grünen Landesregierung und fragte, was ihm dabei in Bezug auf queere Themen fehlt.
Herr Stamp, wenn Sie als ehemaliger NRW-Minister, der auch für den Bereich LGBT zuständig war, zurückblicken, welches Thema oder welche Verbesserung bleibt Ihnen in Erinnerung bzw. wo glauben Sie, haben Sie am meisten erreicht?
Mir war es ein großes Anliegen, die finanzielle Förderung der queeren Arbeit auf ein vernünftiges Fundament zu stellen – in enger Abstimmung mit der Community. Das habe ich gemeinsam mit der FDP erreicht: Niemals zuvor hat das Land NRW so viel Geld in die Selbsthilfe und in die Arbeit für Akzeptanz investiert. Vieles konnte ich als Minister auf den Weg bringen: einen Aktionsplan für queeres Leben in NRW, Maßnahmen für männliche und queere Gewaltopfer, eine aktive Landesvernetzung für Trans* und Intersexuelle oder auch die Unterstützung von mittelständischen Unternehmen beim Diversity Management. In Erinnerung bleiben wird mir aber ganz besonders der 5. Juni 2019, als ich für das Land NRW bei den nach §175 StGB verfolgten Männern für das entstandene Leid um Entschuldigung gebeten habe. Viele mussten ihr ganzes Leben in dem Bewusstsein leben, dass ihre Liebe strafbar ist. Diese Zeit war für schwule Männer in Deutschland ein dunkles Kapitel und auch Justiz und Polizei in NRW haben sich bis 1969 aktiv an der Verfolgung beteiligt.
Noch ist die volle Gleichstellung nicht erreicht. Hatten Sie das Gefühl vom Koalitionspartner CDU in den letzten Jahren eher gebremst zu werden? Kann man zurückblickend sagen, die FDP war in LGBT-Fragen Vorreiter in der letzten Landesregierung?
Es war die FDP, die 2017 im Koalitionsvertrag alle Projekte für LSBTIQ* durchgesetzt hat. Die CDU hat diese Projekte nach anfänglicher Skepsis aber mitgetragen und auf Ministerebene partnerschaftlich umgesetzt. Natürlich ist es so, dass die FDP hier thematisch deutlich weiter ist als unser damaliger Koalitionspartner. Ich bin optimis-tisch, dass es gelungen ist, zentrale queerpolitische Anliegen dauerhaft im Landtag zu verankern.
Wenn Sie den neuen Koalitionsvertrag von CDU und den Grünen lesen, wie beurteilen Sie die Vorhaben und Pläne für die LGBT-Bereiche? Als Stichwort z.B. Lands-antidiskriminierungsgesetz oder die versprochene CSD-Förderung?
Ich glaube, dass Josephine Paul als nun zuständige Ministerin die Arbeit für Akzeptanz und Gleich-stellung gut und gewissenhaft weiter voranbringen wird. Manche Themen, wie die Meldestellen für queerfeindliche Vorfälle, hatte ich bereits auf den Weg gebracht und werden nun umgesetzt. Ich halte die CSD-Förderung für wichtig und richtig, da so auch kleine CSDs vor allem im ländlichen Raum eine Chance haben, sich zu entwickeln oder gar zu entstehen. Der Koalitionsvertrag bleibt allerdings sehr vage in seinen Forderungen zu neuen queeren Themen, weshalb wir nun die Arbeit der neuen Landesregierung beobachten müssen.
Gibt es etwas, was Sie im Koalitionsvertrag vermissen? Was hätten Sie anders gemacht? Wo hätten Sie sich mehr gewünscht?
Wir als FDP hatten gefordert, gewisse Projektstrukturen in der queeren Arbeit fest im Haus-halt zu integrieren. Für mich und meine Partei war es wichtig, die Forderung um die Erweiterung des Artikel 3 Abs. 3 GG um das Merkmal der „sexuellen Identität“ im Koalitionsvertrag zu lesen. Nun liegt es aber auch an CDU und Grünen, die Forderungen schnell und zielgerichtet umzusetzen. Hier hat der Ministerpräsident auf dem Kölner CSD viel versprochen. Ich bin gespannt, ob er und seine Partei das auch tatsächlich umsetzen.
Sie bleiben weiterhin Ansprechpartner für LGBT-Politik der FDP im Landtag NRW. Was planen Sie, und wo werden Sie sich einbringen in queer politischen Fragen?
Ich habe mich stets und werde auch in Zukunft mit starker Stimme für die Community einstehen. Wir geben der Koalition aus CDU und Grünen ihre 100 Tage, in denen sie erste Vorhaben auf den Weg bringen muss. Hier werden wir selbstverständlich auch die LGBT-Themen im Blick haben und kritisch prüfen, wie wichtig der neuen Koalition das Thema ist. Ich biete der neuen Regierung an, sie hier konstruktiv zu unterstützen.