dd. Kevin Kühnert (34) ist ein deutscher Politiker. Er ist seit Oktober 2021 direkt gewähltes Mitglied des Bundestags und seit 2021 Generalsekretär der SPD. Im Interview mit dem FRESH-Magazin spricht er über aktuelle Fragen in der QueerPolitik.
Kevin, wie beurteilst Du die aktuelle Queer-Politik der Koalition aus Sicht der SPD? Wie sieht Deine Bilanz der Bundesregierung seit dem Regierungsantritt bei queerpolischen Fragen aus? Bist Du mit dem Selbstbestimmungsgesetz zufrieden?
Immer, wenn ich von unserer Koalition ein bisschen genervt bin, dann denke ich daran, wie viel echten Fortschritt wir in der Gesellschaftspolitik erreicht haben. Die Bilanz der Ampel ist so viel besser als ihr Ruf! Wir erinnern uns alle noch, was für ein frustrierender Kraftakt es mit den Konservativen war, Projekte wie die Ehe für alle durchzusetzen. Für die Rechte queerer Menschen ist die Ampel mit weitem Abstand das beste Bündnis, das die Mehrheiten im Deutschen Bundestag hergeben.
Diskriminierende Blutspendeverbote haben wir abgeschafft, und das Diskretionsgebot ist Geschichte. Queere Schutzsuchende werden im Asylverfahren deutlich effektiver vor Schikanen geschützt – ihre Sicherheit wird jetzt anhand der realen Bedrohung im Herkunftsland beurteilt. Auch im Strafrecht haben wir Lücken geschlossen und sind weltweit der erste Staat, der ausdrücklich klarstellt, dass queere Menschen unter dem Schutz des Völkerstrafrechts stehen. Und ja, auch das Selbstbestimmungsgesetz ist ein Meilenstein, wenn auch noch nicht perfekt. Aber wie sagte mein Kollege Jan Plobner im Bundestag: Es ist eben das Ergebnis eines demokratischen Kompromisses. Und der nimmt ab dem 1. November enorm vielen Menschen einen großen Leidensdruck.
Artikel 3 zur Gleichheit aller Menschen im Grundgesetz soll durch den Zusatz „sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität” mit der nötigen Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag und Bundesrat ergänzt werden. Bislang blockiert hier die Union. Wird es hier nach ablehnenden Äußerungen aus Unionskreisen in dieser Legislaturperiode noch ei-nen Vorstoß geben? Wie wichtig ist Dir diese Grundgesetzänderung?
Für mich und die ganze SPD ist der Punkt notwendig. Wir wollen diese Klarstellung im Antidiskriminierungsartikel unseres Grundgesetzes. Dafür brauchen wir eine Zweidrittelmehrheit. Das ist kein Pappenstiel. Letztendlich brauchen wir dazu auch die Union. Und hier wird es schwierig, wenn so lautstarke Leute wie Thorsten Frei von der CDU das ablehnen – queere Menschen seien doch ausreichend geschützt. Hier müssen wir über die Ampel hinaus Überzeugungsarbeit leisten, sonst wird das nichts. Einfach einen „Vorstoß“ unternehmen, der dann sehenden Auges nichts wird, wäre ein fatales Signal. Dafür habe ich auch zu viel Respekt vor unserer Verfassung. Da macht man keine Spielchen, sondern muss dicke Bretter bohren. Das machen wir unbeirrt.
Rechte Gewalt und Hass gegen queere Menschen nehmen immer stärker zu. Zuletzt waren bei immer mehr CSD-Veranstaltungen, wie etwa in Essen im August, Polizeischutz nötig. Muss hier nicht viel mehr als bisher getan werden? Was schlägst Du vor?
Wir müssen höllisch aufpassen, dass das menschenfeindliche Gift der Rechtsradikalen nicht weiter in unsere Gesellschaft sickert. Gesetzliche Fortschritte sind kein Autoimmunschutz gegen den gesellschaftlichen Rollback. Essen hast Du genannt, ich schaue mit großer Sorge auch auf die Lage in Sachsen und Thüringen. Die Bilder aus Bautzen und Leipzig waren erschreckend – in Plauen habe ich mir selbst ein Bild gemacht. Wenn die Community im nächsten Jahr ihre CSD-Reisepläne macht, dann ist meine Bitte: Fahrt nicht nur in die ganz großen Städte. In manchem Mittelzentrum ist die Unterstützung nötiger und wirkungsvoller.
Was die Neue Rechte wirklich verinnerlicht hat, ist die systematische Verschiebung der Grenzen des Sag- und Machbaren. Es gibt eine interessante Studie zu der Frage, wie wir solchen Strategien aus demokratischer Perspektive begegnen können. Wir brauchen Wissen, also ein umfassendes Verständnis dessen, was gerade passiert und wer dabei welche Ziele verfolgt. Und ja, wir brauchen manchmal auch eine stringentere politische Kommunikation.
Eine von der Ampel eingesetzte Kommission von Expert*innen will es Lesben und Schwulen einfacher machen, Kinder zu kriegen. Im April empfahl sie eine Legalisierung von Eizellabgaben und die altruistische Leihmutterschaft. Wie stehst Du hierzu. Welche Chancen siehst Du, dass in dieser Legislatur noch was geschieht?
Ich begrüße es sehr, wenn wir beginnen über diese Frage eine stärkere gesellschaftliche Debatte zu führen. Ich weiß, dass viele queere Personen sich eine Familie wünschen. Dass Papi und Papa gute Väter sind, ist ja keine Frage der Biologie, sondern der Liebe und der Zuwendung. Es gibt im Übrigen gute Studien, die belegen, dass es Kindern gleichgeschlechtlicher Eltern sehr gut geht. Die bekommen auch keinen Knacks oder werden auch nicht alle schwul oder was weiß ich, was für ein Blödsinn da immer wieder von Konservativ bis Rechtsaußen behauptet wird. Kinder brauchen Klarheit und Stabilität in der sozialen Familie. Aber um ehrlich zu sein, die Legislatur ist nicht mehr lang. Es gibt jetzt nochmal eine neue Initiative, die ich gerne unterstütze, aber ich befürchte, wir brauchen einen längeren Atem.
Johannes Winkel, der Bundeschef der Jungen Union, hat zwei olympische cis* Boxerinnen, die er offenbar als trans* gelesen hat, als „kranke Männer” bezeichnet. Wie bewertest Du solche populistischen Vorstöße, mit denen man offensichtlich versucht, am rechten Rand zu fischen?
Mich hat die Aussage traurig und wütend gemacht. Ich hatte gehofft, dass das Wort „krank“ im Zusammenhang mit queeren Menschen weitgehend überwunden ist, aber weit gefehlt. Auch die Union war schon mal weiter. Von der AfD brauchen wir gar nicht zu sprechen. Das meinte ich vorhin mit der Verschiebung des Diskurses. Und ich erkenne hier auch den Versuch, in sich radikalisierenden Milieus durch Gemeinheiten, Ehrabschneidung und eine verächtliche Sprache zu punkten. Das ist unterste Schublade.
In der Sache beglückwünsche ich die Boxerin Imane Khelif, die ich für ihren Weg und ihre Stärke bewundere, zu ihrer Goldmedaille. Etwas, was im Übrigen auch ihre unterlegene Gegnerin getan hat. Sie ist eine Sportlerin, die ja auch schon an vielen internationalen Wettkämpfen teilgenommen hat. Auch die Sportwelt ist divers. Das wird ein bitteres Erwachen für die Junge Union, wenn sie das erstmal merkt.