Kultur

Musik als Rebellion

Sterne am queeren Himmel (7):
Der Sänger Freddie Mercury

td. Er war energiegeladen, theatralisch und selbstbewusst – und führte sein Privatleben mit größter Diskretion. Freddie Mercury, der charismatische Sänger der Rockband Queen, ist unvergessen. Seine Stimme reichte über vier Oktaven und seine fulminante Bühnenpräsenz sprengte Arenen. Er war vieles: ein ausgebildeter Grafikdesigner, ein Komponist und ein globaler Rockstar. Seine Beziehung zur LGBT-Community war ambivalent – und doch war er für viele homosexuelle, bisexuelle und queere Menschen eine Figur der Befreiung.

Freddie Mercury wurde am 5. September 1946 als Farrokh Bulsara auf Sansibar als Sohn indischer Eltern geboren. In den Siebzigerjahren, als die Rockmusik noch von Machismo und Heteronormativität geprägt war, trat er mit dezentem Make-up, engen und schillernden Bühnenoutfits sowie einer explizit queeren Ästhetik auf und feierte die Vielfalt. Seine Songs wie „We are the champions“ oder „Bohemian Rhapsody“ eroberten die Charts. Dabei war Homosexualität damals in vielen Teilen der Welt ein Tabuthema. Auch in Großbritannien, wo er lebte. Dennoch war er in der Londoner Gay-Club-Szene unterwegs – und das zu einer Zeit, in der ein öffentliches Bekenntnis die Karriere kosten konnte. In Interviews blieb er hinsichtlich seiner sexuellen Identität vage. „Ich bin, was ich bin“, sagte er einmal. Freddie Mercury war kein Aktivist. Er trat nie öffentlich für queere Rechte ein, sprach nie explizit über seine sexuelle Orientierung und engagierte sich nicht in der Pride-Bewegung. Und doch wurde er zur queeren Ikone, denn er war in vielerlei Hinsicht rebellisch. Allerdings nicht im klassischen, politisch aktivistischen Sinn, sondern auf eine subtilere, künstlerisch und persönlich kraftvolle Weise. Seine Rebellion lag weniger im Protest als im bewussten Überschreiten von Normen, im Spiel mit Identitäten sowie im Bekenntnis zur eigenen Ausdrucksform und zum eigenen Anderssein. Vielleicht war das seine radikalste Form der Rebellion: das Recht, sich nicht definieren zu lassen, das Recht, von anderen nicht etikettiert zu werden.

Er hatte Beziehungen zu Männern und liebte seine Freundin Mary Austin, hat sich aber nie offiziell als schwul oder bisexuell geoutet. Und dennoch gab seine Präsenz auf der Bühne queeren Menschen Hoffnung. In seinem Glanz, seiner Androgynität und seiner Furchtlosigkeit lag für sie etwas zutiefst Befreiendes. Freddie zeigte durch seine Andersartigkeit, dass es Raum für das Andere gab. Trotzdem war er kein Sprachrohr für die queere Bewegung und auch keine Regenbogenflagge auf zwei Beinen. Er war ein Spiegel – für all jene, die sich anders fühlten, versteckt lebten oder nie wussten, wie laut sie singen durften. Freddie gab ihnen bei seinen Auftritten Töne, Energie und Präsenz. Legendär wurde bei seinen Gigs sein „Vocal Call and Response“ mit dem Publikum, bei dem Zehntausende synchron mit ihm sangen und einfach nur glücklich waren. Weil sie sich von ihm verstanden fühlten.

In den späten Achtzigerjahren wurde er von der Presse zunehmend zu seinem Gesundheitszustand befragt. Die Gerüchte um seine HIV-Erkrankung hatten sich verdichtet, doch Freddie schwieg. Erst einen Tag vor seinem Tod, am 24. November 1991, veröffentlichte er eine Erklärung: „Ich habe AIDS. Ich hielt es für richtig, dies nicht früher bekannt gemacht zu haben, um die Privatsphäre der Menschen um mich herum zu schützen.“

Diese späte Offenbarung wurde von vielen kritisiert – sie sei zu spät gekommen, sagten manche. Doch sein Tod markierte einen Wendepunkt in der öffentlichen Wahrnehmung von AIDS. Plötzlich war es nicht mehr eine Krankheit der Unsichtbaren, sondern sie hatte ein Gesicht. Das eines Superstars aus der Musikbranche, zu dessen vielen Hits „I want to break free“ gehörte. Dieser Song steht symbolisch für individuelle Freiheit, Identität und Selbstbestimmung, für Anderssein und Akzeptanz. Und so lebt Freddie weiter in jeder queeren Stimme, die sich kraftvoll erhebt. Wie ein Akkord, der nicht aufgelöst wird, weil er in uns nachhallt. (Tom Dillinger)

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