Politik
„Kürzungen bleiben Kürzungen“: Frank Müller, Queer-Beauftragter der SPD-Landtagsfraktion NRW im FRESH-Interview

dd. In der Dezemberausgabe der FRESH wurde über die geplanten Landesmittel für queere Projekte im Jahr 2026 berichtet. Dort erklärte die queerpolitische Sprecherin der Grünen, es gebe diesmal keine Kürzungen; an einigen Stellen würden die Mittel sogar erhöht. Frank Müller, Queer-Beauftragter der SPD-Landtagsfraktion NRW, zeigt sich über diese Darstellung irritiert und spricht im FRESH-Interview von „grüner Schönmalerei“.
Frank, Du wirfst den Grünen „Schönmalerei“ bei der Darstellung der Landesmittel für queere Projekte 2026 vor. Was genau meinst Du damit?
Nach den massiven Kürzungen im vergangenen Jahr für 2025 – zu Lasten der Aidshilfen, von „MehrAlsQueer“ und durch die Abwicklung der Landesfachstelle für queere Senior*innenarbeit bei Rubicon – feiert sich die schwarz-grüne Koalition nun dafür, dass der Kahlschlag nicht weitergeht. Die genannte Erhöhung der Zuschüsse im LSBTIQ-Bereich bedeutet jedoch lediglich eine Rückkehr zum Stand von 2024. Inflationsbereinigt bleibt unter dem Strich ein deutliches Minus. Stillstand bedeutet Rückschritt.
Das Niveau von 2024 ist zwar wiederhergestellt, aber es wurden ja auch Projekte wie bei der Aidshilfe Essen gestrichen, oder?
Genau, die Folgen der Kürzungen in den letzten Monaten sind spürbar und eben nicht rückgängig gemacht worden: Die Fachstelle für queere Senior*innenarbeit bleibt geschlossen, zahlreiche Projekte der örtlichen Aidshilfen, wie in Essen, mussten eingestellt werden. Diese Strukturen sind verloren. Dass sich die Grünen dafür jetzt feiern, ist zynisch – gerade, weil sie die besondere Bedeutung dieser Angebote kannten. Für Selbstlob besteht also keinerlei Anlass.
Was forderst Du mit Blick auf die kommenden Haushaltsjahre?
Queerpolitik braucht Planungssicherheit und keine jährlichen Ausschläge nach Kassenlage. Wenn die Koalition auf neue Spielräume durch die Steuerschätzung verweist und damit die bloße Wiederherstellung des 2024er-Ansatzes begründet, stellt sich doch die Frage: Was passiert bei der nächsten finanziellen Delle im Landeshaushalt? Drohen dann erneut Kürzungen – und gelten sie dann wieder als unvermeidbar? Verlässlichkeit sieht anders aus.
Stichwort Queerpolitik in NRW: Wie ist Deine Perspektive auf die schwarz-grüne Koalition und auf das neue Landesantidiskriminierungsgesetz?
Das Landesantidiskriminierungsgesetz ist noch in der Entstehung, es liegt bislang nur als erster Entwurf vor und ist noch nicht als fertiger Gesetzentwurf im Landtag angekommen. Von daher bin ich auf die Einbringung des Gesetzentwurfes gespannt. Stand jetzt, also auf Basis des Referentenentwurfs, soll es zumindest in einigen Bereichen Fortschritte bringen. Daher hoffe ich, dass die Landesregierung gerade vor dem Hintergrund steigender Diskriminierungserfahrungen für viele Gruppen und gerade auch queere Menschen die Chance für wirkliche Verbesserungen ergreift und keinen Papiertiger abliefert. Wir als SPD werden das Gesetzgebungsverfahren konstruktiv begleiten.
Insgesamt fällt mein Fazit zur Queerpolitik dieser Landesregierung gemischt aus. Wenige Fortschritte, vieles halbherzig, ein Schritt nach vorn, ein Schritt zurück. Große gesellschaftspolitische Würfe im Sinne der queeren Community sieht man einfach zu wenig. Auch die Umsetzung der Ergebnisse der Lebenslagenstudie in praktisches Handeln kommt viel zu langsam voran. Auch wenn man die Datenbasis der Studie kritisieren kann, so werden ja viele konkrete Fragen und Problemlagen aufgeworfen. Hier erwarten wir alle mehr Entschlossenheit.
Wie beurteilst Du die Chancen im Bund, mit dieser Regierung den Artikel 3 des Grundgesetztes zugunsten von uns zu ergänzen?
Das Problem liegt hier bekanntlich nicht bei SPD, Grünen oder Linken. Wir als SPD hatten das auch im Wahlprogramm, und es bleibt unsere Position. Leider haben sich die Vorzeichen mit dem Regierungswechsel im Bund verschlechtert. Ich sehe daher noch einen weiten Weg zur parlamentarischen Zweidrittel-Mehrheit für die notwendige Verfassungsänderung, wenn man sich den aktuellen Bundestag anschaut. Optimistisch stimmt die Initiative im Bundesrat von mehreren Bundesländern, mit der ein Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes auf den Weg gebracht wurde. Ich weiß auch von vielen Kolleg*innen aus der CDU, dass sie das gern unterstützen würden. Insofern wäre auch zu überlegen, die Abstimmung im Bundestag freizugeben. Ähnlich wie seinerzeit bei der Öffnung der Ehe.