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Interview

„Die AfD bedroht unsere Freiheit”: Sven Lehmann (Grüne), Queerbeauftragter der Bundesregierung, im FRESH-Interview

Sven Lehmann (Grüne), Queerbeauftragter der Bundesregierung, im FRESH-Interview
Sven Lehmann (Grüne), Queerbeauftragter der Bundesregierung, im FRESH-Interview

dd. Sven Lehmann ist seit 1999 Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen und seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages. 2018 bis 2021 war er Sprecher für Queerpolitik. Seit 2021 ist er Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und seit Anfang 2022 Deutschlands erster Queerbeauftragter der Bundesregierung.

Sven, wirst Du der einzige Queer-Beauftragte in der Geschichte der Bundesrepublik gewesen sein? Merz kündigt an, er will weniger Beauftragte, die AfD wird noch konkreter und will den Queerbeauftragten abschaffen.

Dieses Amt ersatzlos wieder abzuschaffen wäre eine Kampfansage an die LSBTIQ*-Community. Denn erstmalig gibt es mit diesem Amt eine direkte Ansprechperson in der Bundesregierung und jemanden, der bei allen relevanten Gesetzen, aber auch vielen kleineren Vorhaben, die Perspektive der Community stark macht. Ich setze mich dafür ein, dass das inzwischen etablierte Amt der*des Queer-Beauftragten erhalten und weiter gestärkt wird.

In welcher Koalition hast Du oder jemand anderes die besten Chanchen, das Amt fortzusetzen?

Deutschland ist in meiner Amtszeit im Regenbogen-Ranking erstmals in die Top 10 in Europa bei der rechtlichen Gleichstellung von LSBTIQ* aufgestiegen. An diese Arbeit sollte die nächste Bundesregierung anknüpfen, denn Queerpolitik war nie ein Selbstläufer. Ob die Ehe für alle oder zuletzt das Selbstbestimmungsgesetz: Alle emanzipatorischen Errungenschaften mussten hart erkämpft werden. Auch zu dieser Wahl antworten die Parteien auf die Wahlprüfsteine des LSVD. Ich empfehle sehr, sich genau anzuschauen, welche Gesellschaft die Parteien wollen und was sie auch queerpolitisch versprechen.

Die Ampel-Koalition hat es nicht mehr geschafft, Regenbogenfamilien im Abstammungs- und Familienrecht zu verankern oder Artikel 3 im Grundgesetz zu ändern. Trotzdem: Wie sieht Dein Fazit Deiner Arbeit aus?

Für die Queerpolitik ist es bitter, dass die Ampel-Regierung zerbrochen ist. Dadurch konnten wir nicht mehr alle Vorhaben wie geplant umsetzen. Ein Gesetzentwurf für die Reform des Abstammungs- und Familienrechts lag bereits vor. Das muss nach der Wahl sofort wieder angegangen werden. Das Gleiche gilt für die Ergänzung des Grundgesetzes, für die es immer mehr Unterstützung gibt wie zuletzt vom Zentralkomitee der Katholiken.
Sehr gefreut habe ich mich, dass wir erstmalig in den europäischen Top 10 bei der Gleichstellung von LSBTIQ* sind. Mein persönliches Highlight und auch härtester Kampf war die Ersetzung des unwürdigen Transsexuellengesetzes durch das Selbstbestimmungsgesetz. Ich bekomme sehr berührende Nachrichten von Menschen, die darauf lange gewartet haben.
Vor kurzem erschien auch der Zwischenbericht zur Umsetzung unseres Aktionsplans „Queer leben“. 83 von 134 Maßnahmen sind bereits umgesetzt oder in Arbeit. Dieser Bericht ist auch eine queerpolitische Bilanz der letzten Jahre und zeigt, dass der Aktionsplan wirkt.

Thema Gewalt gegen queere Menschen. Die Sicherheitssituation hat sich für queere Menschen in den vergangenen Jahren laut Statistik verschlechtert. Hat die Regierung dahingehend versagt?

Wie uns alle besorgt auch mich der Anstieg der registrierten Zahlen sehr. Dass mehr Angriffe zur Anzeige gebracht werden, kann aber auch damit zu tun haben, dass sich mehr Opfer auch trauen, zur Polizei zu gehen als früher. Oder dass diese Angriffe auch korrekt als das erfasst werden, was sie sind, nämlich Hasstaten. Fakt ist: Jeden Tag werden in Deutschland Menschen angegriffen, bloß weil sie lieben, wie sie lieben, oder sind, wie sie sind. Daher haben wir die Gesetze zu Hasskriminalität verschärft. Hasstaten gegen LSBTIQ* gelten seitdem ausdrücklich als menschenfeindliche Straftaten, was sich strafverschärfend auswirken kann.
Trotzdem sind der gezielt geschürte Hass auf Regenbogenflaggen, die Übergriffe bei CSDs oder die transfeindlichen Kampagnen sehr beunruhigend. Das hat meines Erachtens an Intensität zugenommen. Wir dürfen uns nichts vormachen: Es gibt politische Kräfte, die gegen LSBTIQ* und unsere Erfolge mobilisieren. Sie wollen eine autoritäre Gesellschaftsordnung und uns wieder unsichtbar machen. Das dürfen wir nicht zulassen!

Die AfD gewinnt mehr und mehr Stimmen. Auch in der Community gibt es viele, die sich mit pauschalen Verunglimpfungen und rechtem Gedankengut lautstark hervortun. Wie gefährlich ist die AfD in punkto Schwule, Lesben und Trans*? Was würdest Du einem queeren Menschen sagen bzw. raten, der vorhat AfD zu wählen?

Lass Dich nicht von einer Alice Weidel täuschen! Die AfD ist gegen die Gleichstellung von Lesben und Schwulen, gegen die Anerkennung von trans* Menschen. Das zeigen die Reden und Äußerungen ihrer Abgeordneten, die politischen Vorbilder dieser Partei sowie ihre Anträge im Bundestag. Sie hat jetzt angekündigt, sogar wieder ein Gesetz vorzulegen, um die Ehe für alle abzuschaffen. Die AfD wird als rechtsextremistischer Verdachtsfall geführt. Laut Verfassungsschutz sind Veranstaltungen der Community wie die CSDs in den Fokus von gewaltorientierten Rechtsextremisten gerückt. Jegliche Abweichung von der heteronormativen Kleinfamilie gilt in ihrer Ideologie als „Zersetzung des Volkskörpers“. Und diese völkische Ideologie dominiert in der AfD. Die AfD bedroht unsere Freiheit.

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