dd. Nyke Slawik (* 7. Januar 1994 in Leverkusen) ist eine deutsche Politikerin (Bündnis 90/Die Grünen) und seit 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages. Sie gehört zu den ersten bekannten transgeschlechtlichen Frauen im Deutschen Bundestag. Beim Besuch des ersten CSD in Leverkusen sprach FRESH mit ihr über aktuelle politische Themen.
Nyke, Du hast in deiner Rede zum Beschluss des Selbstbestimmungsgesetzes gesagt, Du hättest Dir als Jugendliche sehr gewünscht, dass es ein solches Gesetz gibt. War das auch einer der Gründe, warum Du für den Deutschen Bundestag kandidiert hast?
Ja, denn ich habe nie verstanden, warum transgeschlechtlichen Personen so viele Steine in den Weg gelegt werden. Das Transsexuellen-gesetz habe ich als staatliche Diskriminierung empfunden. Ich musste fast 2000 Euro als 18-Jährige berappen, um die Prozesskosten für die Namens- und Personenstandsänderung zu bezahlen. Und dann die ganzen Gespräche mit Gutachter*innen davor. Das war schon krass. Diese Ungerechtigkeit war mit einer der Gründe, warum ich politisch aktiv geworden bin.
Bist du zufrieden? Wie fühlt es sich nun an? Erfüllt das Gesetz Deine Kriterien?
Es gibt keine Gerichtsprozesse mehr. Keine entwürdigenden psychiatri-schen Zwangsgutachten mehr. Es entscheidet kein Richter, keine Psychiaterin, sondern nur noch die Betroffenen selbst, wenn es um den Geschlechtseintrag geht. Jede*r kann freiwillig Beratungen in Anspruch nehmen, aber es ist eben kein Zwang mehr. Das Gesetz ist nicht perfekt geworden, an ein paar Stellen hätte ich mir mehr gewünscht, viele Kritikpunkte aus der Community teile ich. Aber es ist eine riesige Verbesserung im Vergleich zum Transsexuellengesetz und wirklich historisch. Ich bin wahnsinnig glücklich, dass wir es geschafft haben, das Gesetz zu beschließen, obwohl wir von vielen Seiten immer wieder angegriffen wurden.
Am 1. November 2024 löst das Selbstbestimmungsgesetz dann das Transsexuellengesetz von 1980 endgültig ab. Warum wird das neue Gesetz in zwei Stufen in Kraft treten? Was ändert sich am 1. November?
Die Bundesregierung verwies immer wieder darauf, dass die Register der Standesämter nur zweimal im Jahr aktualisiert werden. Im Frühjahr und im Herbst. Weil die Verhandlungen im Bundestag sich bis ins Frühjahr zogen, war dann nur noch das Inkrafttreten im Herbst realistisch. Als Abgeordnete in der Koalition waren wir uns aber alle einig, dass das Gesetz so schnell wie möglich in Kraft treten soll. Der Kompromiss war dann, die 3-monatige Anmeldefrist bei den Standesämtern mit einzurechnen. D.h. Änderungen von Vornamen und Geschlechtseintrag können zwar erst ab November vorgenommen werden beim Standesamt, Betroffene können sich aber bereits ab dem 1. August für einen Termin anmelden, sodass sie dann auch direkt im November einen Termin für die Änderung haben. Hätten wir das nicht so geregelt, wären im November ja erst die drei Monate Wartefrist für Betroffene angelaufen und erste Termine beim Standesamt hätte es frühestens im Februar 2025 gegeben. Das wollten wir verhindern.
Du hast Dich schon kurz nach Amtsantritt mit Anfeindungen auseinandersetzen müssen. Wie kann die Politik dafür sorgen, dass weniger Hass und Hetze stattfindet? Zur Zeit hört man täglich von Angriffen auf queere Menschen.
Einiges konnten wir schon erreichen. Hassgewalt gegen LSBTIQ-Personen ist nun Bestandteil des Strafgesetzbuchs und muss bei der Strafverfolgung besonders berücksichtigt werden. Das war eine lange Forderung der Community, die wir umgesetzt haben. Die steigenden Zahlen von Übergriffen gegen queere Menschen sind allerdings wirklich besorgniserregend. Teilweise sind die höheren Zahlen darauf zurückzuführen, dass es mittlerweile deutschlandweit mehr Meldestellen und Ansprechpersonen bei der Polizei gibt und insgesamt mehr sensibilisiert wurde. Aber in der Tat ist die Gewalt insgesamt auch gestiegen. Aktuell gibt es eine gefährliche Allianz aus AfD, Demokratiefeinden und Putin-Fans in der Gesellschaft. Sie alle haben gemein, dass sie gegen queere Menschen hetzen und Menschen gegeneinander ausspielen wollen. Die wollen, dass Menschen verunsichert sind und daraus Profit schlagen. Ich sage immer, ein Angriff auf queere Menschen, auf Vielfalt, ist immer auch ein Angriff auf die Demokratie und eine gleichberechtigte Gesellschaft insgesamt. Da müssen wir uns gemeinsam gegen stark machen, in der Politik über Parteigrenzen hinweg und in der Zivilgesellschaft.
In Deiner Funktion als Politikerin bist Du auch auch ein Vorbild. Was möchtest Du queeren Jugendlichen mit auf den Weg geben, damit sie weiter für ihre Rechte kämpfen?
Nicht aufzugeben und weiterzumachen, wäre mein Rat. Denn es wird besser. Gerade junge Menschen machen teilweise schlimme Erfahrungen: Möglicherweise akzeptiert die Familie ihr Outing nicht, in der Schule kann es Mobbing geben oder am Ausbildungsplatz, oder in der Schule findet man keinen Anschluss. Wichtig ist: Man kann aus diesen Situationen rauskommen, sich Hilfe suchen oder Freund*innen in der Community finden! In NRW gibt es viele queere Jugendzentren mit großartigen Jugendgruppen und Beratungsangeboten. Das anyway in Köln war für mich in meiner Jugend ein wichtiger Anker. Insgesamt sollte man versuchen, negativen Menschen nicht so viel Macht über einen zu geben. Ich habe viel von meinem Schmerz über die Jahre genommen und in politisches Engagement gesteckt, weil ich die Welt besser machen wollte. Ich musste über 10 Jahre kämpfen, aber das Selbstbestimmungsgesetz ist endlich da. Manchmal braucht man einfach einen sehr langen Atem.